DIETER BAUMANN über LAUFEN : Die Platzhirsche
Vor der WM wechseln sogar Laufbahnen ihre Farbe. Nur Schulhöfe bleiben schwarz
Es ist noch gar nicht lange her, da lief ich mit über tausenden von Kindern und Jugendlichen durch die Straße von Stuttgart. Die Stuttgarter Polizei hatte einen Sternlauf unter dem Motto „Laufen anstatt Raufen“ organisiert. Aus unterschiedlichen Stadtteilen liefen über tausend Kinder und Jugendliche, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Eine tolle Geschichte, wie ich fand.
Aber prägend in Erinnerung blieb mir dennoch ein riesiger schwarzer Platz, auf dem wir gestartet waren. Auf dieser grob geteerten Fläche waren ausgeblichene weiße Linien zu erkennen. Trotz dieser wenigen weißen Farbpartikel erkannte ich darin ganz klar ein Stadionrund – offensichtlich sind diese acht Laufbahnen so in mein Gehirn eingebrannt, dass ich sie auch schon dann wahrnehme, wenn sie nach zwanzigjährigem Anstrich ihre eigentliche Form längst verloren haben. Tatsächlich markierten die wenigen Linien im Innenhof nur noch ein Fußballfeld.
Unser Startplatz war ein Schulhof, und ich befürchte, er ist immer noch einer. Zugleich dient er als Sportplatz für den Unterricht. Nicht immer scheint in Stuttgart die Sonne, sodass der Sportunterricht in die angrenzende Halle verlegt werden muss. Darüber können sich die Kinder in Anbetracht dieses Platzes wirklich freuen. Zumal die Halle ein wahres Prachtstück ist. Leider schränken die von der Stuckdecke hängenden Kronleuchter die Idee von mehr Bewegung für Kinder stark ein. Von ungehemmtem Toben, von Fangen und Werfen von Bällen oder einfach nur einem Befreiungsschlag beim Abwehrkampf im Fußball kann keine Rede sein. Kurzum, Ballspiele sind dort nicht erlaubt.
Es reicht auch völlig aus, dass Fußball in Stuttgart im Gottlieb Daimler Stadion gespielt wird. Dort baut sich der VfB ein neues Trainingszentrum. Für 1,9 Millionen erhalten die Ballkicker des VfB nun endlich einen neuen Platz. Rasenheizung, Tribüne für 1.000 Besucher (bei schlechtem Wetter kann man den Bundesliga-Kick dann auch dort austragen), „Geräteschuppen“, alles eben, um zwanzig Millionäre zu bewegen. Die Stadt Stuttgart beteiligt sich mit 400.000 Euro an diesem Projekt.
In Anbetracht der allgemein konstatierten Bewegungsarmut unserer Gesellschaft muss schließlich einmal ein Anfang gemacht werden, mögen sich die Verantwortlichen gedacht haben und setzten ein wichtiges Signal. Wenn schon für über 800 Schüler kein vernünftiger Sportunterricht möglich ist, sollen wenigsten die Profis des VfB unter idealsten Bedingungen ihren Sport ausüben können.
Dies ist allerdings nur eines von zwei ehrenwerten Sportprojekten für mehr Bewegung in unserer Gesellschaft, die die Stadtväter von Stuttgart bewilligt haben. Das zweite kostet nur 280.000 Euro und soll der Sportart Leichtathletik dienen. Im September findet das World Athletics Final in Stuttgart statt, die Weltstars kommen, eine millionenschwere Veranstaltung. Dazu also gibt es nun, kurz vor der Fußball WM, eine neue Laufbahn. Interessanterweise wird sie grün eingefärbt, denn das will die Fifa so. Um überhaupt für ein WM-Spiel in Frage zu kommen, mussten die Städte ja einige Auflagen erfüllen. Unter anderem musste man das Umfeld des Spielfelds dem grünen Rasen anpassen. Vielleicht haben manche Kicker die Vorstellung, mit der roten Laufbahn würde das Laufen gleich mit aus dem Spiel entfernt. Aber alle Fußballexperten werden mir beipflichten, mit oder ohne Laufbahn, auch Fußballer müssen laufen. Denn ohne Laufen fällt kein einziges Tor, und ohne Tor wird Deutschland nie Weltmeister.
Das World Athletics Final kam den Verantwortlichen gerade recht. So konnte man der Öffentlichkeit zwei völlig voneinander getrennte Rechnungen präsentieren. Ob die nun getrennt verbucht sind oder nicht, zusammen sind es immerhin 680.000 Euro. Ich verkneife mir die Frage, was man damit alles anstellen könnte? Irritiert bin ich nur über die grüne Bahn. Zumindest aus politischen Gründen müsste die Bahn schwarz werden, so schwarz und so hart wie der Schulhof mit den kaum wahrnehmbaren Linien. Dann wüssten alle, wie sich die Kinder fühlen, wenn sie dort 400 Meter laufen müssen.
Fragen zum Grün? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt KLATSCH