DIE ZUKUNFTSIDEE : Flugzeuge ohne Lärm
Es war ein trüber Montag, einer der ersten des neuen Jahres. Ich setzte mich wie fast jeden Montag in die U-Bahn und ließ mich in Richtung Friedenau kutschieren. Ich schaute mir gewissenhaft die anderen, genauso trostlos wie ich wirkenden Passagiere an, untersuchte sie auf Marken, aber es war ja Winter und alles weitgehend versteckt. Ich sah eine Frau, eine mollige Brünette mit Nasenstecker und Rucksack von The North Face, die „Ekel“ von Sartre las. Ich sah auf die Schuhe der Menschen. Alle sahen getragen und dadurch irgendwie individuell aus, auch wenn sie drei Streifen hatten oder ein großes N trugen. Sie sahen zugehörig aus. Ich erinnerte mich daran, dass Carhartt und Dickies als „linke“ Marken galten, aber das waren nur Oberflächen, das waren nur die Menschen und ihre Zeichen.
Irgendwann betrat ein junger Mann in dunklen Stoffhosen und einer Lederjacke mit einem Leitzordner vor der Brust den Wagon und begann umstandslos, aus dem Ordner vorzulesen. Die Leute zogen wie automatisch ihre Geldbörsen. Der junge Mann, vielleicht zweiundzwanzig, seit drei Tagen unrasiert, sonst eher unauffälliger Natur, las keine Poesie, sondern Tabellen vor. Namen, dann Zahlen. Vermutlich Börsennotationen. Ich staunte jedenfalls nicht schlecht. Mit dieser Art von subversiver U-Bahn-Performance hatte ich nicht gerechnet: Musiker, Straßenzeitungsverkäufer, klar. Aber vorlesende Volkswissenschaftler?
Dann war meine Haltestelle erreicht, ich schlängelte mich nach draußen. Irgendwann kam ein Flugzeug, gefolgt von einem Geräusch. Lärmlose Flugzeuge, das wäre doch auch ein hehres Ziel. Die Proteste in der Provinz würden aufhören, die Landbevölkerung wäre zufrieden. Keine Routendiskussionen, keine Stresssymptome. Am Ende käme auch der eine oder andere Euro mehr dabei heraus. Für die armen Volkswissenschaftler, meine ich. RENÉ HAMANN