DIE WERBEPAUSE : Ein tragisches Lebensjahr
Die Protagonistin feiert ihren achten Geburtstag, umringt von Eltern und Freunden. Das Mädchen probiert Lippenstift aus, übt Blockflöte, schläft im Auto und wird auf dem Schulhof von einem Jungen auf die Wange geküsst. Szenen einer glücklichen Kindheit in einem britischen Vorstadtgebiet.
So weit, so bekannt. Es ist ein „Eine Sekunde pro Tag“-Video, angefertigt von Eltern mit zu viel Zeit, wie es sie massenhaft gibt – würde der Titel nicht behaupten, es sei das „schockierendste“ dieser Gattung. Und ab Sekunde 30 wird es auch langsam etwas unbehaglich: Das Mädchen verfolgt ein Pfeifen am Himmel, die Eltern packen gehetzt das Auto, im Fernsehen ist von „Luftangriffen“ die Rede.
Es ist eine feine Dramaturgie, die die Verwandlung einer glücklichen, bürgerlichen Kindheit in die Zerrüttung des Krieges darstellt. Mit ein wenig Fantasie können die Ereignisse zwischen den kurzen Szenen einfach dazugedacht werden.
Dass die Protagonistin aus einer wohlhabenden Familie kommt, die mit einem Auto fliehen kann und dabei den Teddy nicht vergisst, ist natürlich kein Zufall, denn das Video ist Werbung. Werbung für „Save the Children“ in Großbritannien. „Nur weil es nicht hier passiert, bedeutet es nicht, dass es nicht passiert“, heißt es in der eingeblendeten Werbezeile – und unter dem Video steht ein Verweis auf die Spendenseite.
Am Ende der rund anderthalb Minuten sitzt das Mädchen mit leerem Blick auf einem Krankenhausbett, der Vater und ihre Freunde sind verschwunden, auf dem improvisierten Kuchen ist nur eine Kerze. Ihre Mutter, ebenfalls im Patientinnenhemd, singt leise „Happy Birthday“.
LALON SANDER
■ Das Video kann man hier schauen: taz.de/!134454/