piwik no script img

DIE WAHRHEITImmer essen, viel und gut

Mehrfach hat wahrheitsgemäß in der Zeitung gestanden, dass ich sehr viel esse. Seither werde ich immer wieder gefragt:"Sie essen ziemlich viel, nicht? Warum denn nur?" ...

... Um Höflichkeit ebenso wie um Offenheit bemüht, pflege ich dann stets zu antworten: "Ich muss verifizieren, dass manche Dinge seltsam schmecken. Dazu muss ich zwangsläufig sehr viel essen. Ein Mensch im Hungerstreik zum Beispiel könnte das nie und nimmer leisten."

Was mir dabei sehr gelegen kommt, ist meine angeborene Gefräßigkeit. Manche Menschen sprechen in diesem Zusammenhang auch offen von Fressgier. Abwegig ist dies wahrlich nicht, es kommt durchaus hin und wieder vor, dass ich mich beim Essen unabsichtlich in die eigene Hand beiße. Vermutlich stoffwechselbedingt muss ich mir fast pausenlos feste und flüssige Nahrung zuführen, das pure Existieren bedeutet für mich einen enormen Energieaufwand. Versuche ich dann noch, irgendetwas zu tun oder gar zu denken, befällt mich körperliche und geistige Schwäche, die sofortiges Essen erfordert. Diese Disposition hat mit dazu geführt, dass mein Leben bereits früh eine klare Ausrichtung bekam. Ich habe als sehr junger Mensch darüber promoviert, wie merkwürdig es ist, dass man mit vollem Mund nicht sprechen, wohl aber essen kann. Deshalb rede ich auch nicht viel und esse umso mehr, gewissermaßen mit akademischem Überbau. Auch vertragen sich nachweislich Essen und Schreiben gut. Für den einen oder die andere mag in diesem Zusammenhang vielleicht von Interesse sein, dass ich jetzt, da ich den vorliegenden Text tippe, mit vollen Backen kaue und zur selben Zeit mit der linken Hand dies und das in einer Pfanne zusammenrühre.

Das Vielessen scheint in unserer Familie zu liegen. Von einer entfernten Verwandten, die ich nicht persönlich kenne, hieß es immer wieder, sie habe als kleines Mädchen einmal ein ganzes Huhn verspeist. Vor dieser Leistung, falls sie tatsächlich in der überlieferten Art und Weise erbracht wurde, ziehe ich den Hut. Weder schändet Essen als solches noch entfremdet es. Ganz anders verhält es sich beispielsweise mit dem Sterben, denn Sterben entfremdet ja grundsätzlich. Gut gegen das Sterben - auch vorbeugend - ist bekanntlich das Essen, von dem der Volksmund seit Jahrhunderten weiß, dass es, und erst recht im Zusammenspiel mit dem von mir ebenfalls konsequent praktizierten Trinken, Leib und Seele zusammenhält. Schon in der Bibel steht deshalb sehr richtig: "Lasst uns fressen und saufen, denn morgen sind wir tot!" Folglich stehe ich Aktivitäten wie dem Nichtessen (Nulldiät, Lichtnahrung …) mehr als skeptisch gegenüber.

Kommen wir zum Schluss, denn mein Pfannengericht ist fertig. Neben der eingangs zitierten gibt es eine weitere Frage, die mir häufig gestellt wird: "Sie können aber doch nicht immerzu nur essen. Lesen Sie denn hin und wieder auch mal was?" Darauf kann ich leichten Herzens mit Ja antworten. Ich nehme mir für unterwegs grundsätzlich ein paar Tütensuppen als Reiselektüre mit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!