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DIE WAHRHEITScharf auf Abschluss

Das weltberühmte Gellért-Bad in Budapest erstrahlt wieder in jungfräulichem Glanz. Frisch gestrichen und restauriert, sind die Spuren der Sexparty ...

Im Budapester Gellért-Bad ging es zu wie in einer Versicherung. Bild: dapd

... die die deutsche Versicherung Hamburg-Mannheimer 2007 dort veranstaltete, endgültig beseitigt. Was bleibt, ist ein enormer Image-Schaden sowohl für das Heilbad als auch für den Versicherer, der verdiente Mitarbeiter von Prostituierten im Jugendstil-Ambiente verwöhnen ließ. So stand es zumindest in den Zeitungen. Doch das, was die schwüle Fantasie der Publikums zu wilden Spekulationen anregte - laszive Damen, die den Vertretern bedingungslos zu Willen waren, eine Orgie von spätrömischer Dekadenz -, ist so nie passiert. Es ist viel Schlimmeres passiert. Erst jetzt, Jahre nach der unseligen Veranstaltung, trauen sich die ersten Opfer offen darüber zu sprechen, was wirklich geschah in den zwischen Thermalbecken und Säulen aufgebauten Zelten.

Tatjana S. (Name der Redaktion nicht bekannt) ist mit ihrem lodernden Blick, in ihrem knapp bemessenen Glitzer-Top und den Hot Pants ein wahres Teufelsweib, scharf wie Paprika. Eine Budapester Bordsteinschwalbe, für die ein echter Ungar schon mal sein Pörkölt stehen lässt. Auch sie war auserkoren, den deutschen Versicherungsmännern allerlei Lustbarkeiten angedeihen zu lassen. Doch statt sie zu wilden Sexspielen zu verführen, wurden ihr nur die Produkte des Hauses angedreht: Nach der Sause hatte sie eine private Rentenversicherung, eine Hausrat- sowie eine Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen. "Die waren so aufdringlich", beklagt sich die heißblütige Tochter der Puszta, "ich wollte mich freimachen, doch ich sollte nur unterschreiben."

Für Istvan Nagy, Kommunikationsdirektor der Gellért-Therme, ein klarer Fall von Vertragsbruch. "Diese grauen Versicherungsmänner aus Deutschland haben sich gegenseitig dabei überboten, unseren schönen Ungarinnen vollkommen nutzlose Policen aufzuschwatzen. Was bitte soll eine 18-jährige Prostituierte mit einer Sterbegeldversicherung anfangen? Das ist doch Betrug am Kunden."

Die angebliche Sexsause, eine unglaubliche Massenversicherung von ahnungslosen Opfern? Die Berichte der Betroffenen zeigen das erschütternde Grundmuster hurenverachtenden Agierens. Bei den Damen sind die Wunden der Vergangenheit noch nicht geheilt. Silvia Kekskemet weiß davon ein Lied zu singen. Die gut gewachsene 23-Jährige, bei deren Anblick schon so manchem Magyaren die Kolbász im Munde stecken blieb, weiß über die Mannen aus Deutschland ebenfalls Erstaunliches zu berichten. Obwohl sie mit ihren weiblichen Reizen nicht geizte, wollten die Versicherer nur das eine - den schnellen Abschluss. Jeder, der zu ihr ins Zelt kam, bequatschte sie so lange, bis sie unterschrieb. Am Ende der Party hatte Silvia eine Berufsunfähigkeits-, eine Unfall- sowie eine Auslandsreise-Krankenversicherung nach Tarif 3F2G unterschrieben. "Sie wollten mich versichern", schluchzt sie, "aber ich nix verstehen!" Bis heute zahlt die gelernte Sexdienstleisterin Beiträge für Versicherungen, die sie nie abschließen wollte. Wenn das Herr Kaiser wüsste!

Kristina N. erging es ähnlich. "Sie drohten mir mit der Police!" Und die unbedarfte Szegedinerin dachte, die Männer aus Deutschland meinten die Polizei. Wehrlos und eingeschüchtert unterschrieb sie alles, was die Klinkenputzer aus Hamburg oder Mannheim ihr vorlegten. Bis heute laufen die 17 Policen, die sie an jenem schwarzen Freitag unterschrieben hat. Es ist fürwahr ein Blick in die Abgründe des Versicherungswesens, den diese unschuldigen Opfer gewissenloser Drückerkolonnen dem Berichterstatter gewähren. Das Opfer, ein unverstelltes Mädchen aus der ungarischen Tiefebene, das es den mächtigen Männern aus Deutschland mal so richtig besorgen sollte. "Aber sie wollten gar nicht vögeln", schluchzt Kristina N. mit tränenerstickter Stimme, überwältigt von der Wucht der Erinnerung, "sie wollten nur riestern!"

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