DIE WAHRHEIT: Als Witzeerzähler bei Klingenberger
Nach meiner von Brahms erwirkten unehrenhaften Entlassung durchlebte ich eine Zeit der Ratlosigkeit. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, tat ich nichts.
N ach meiner von Brahms erwirkten unehrenhaften Entlassung durchlebte ich eine Zeit der Ratlosigkeit. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, tat ich nichts. Als Bündel in einem Zierbeet versäumte ich sogar die nächste Haupt- und Abgasuntersuchung, dergleichen wäre mir früher nie passiert. Mit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten wuchs jedoch mein Vertrauen in die Zukunft, es ging langsam wieder aufwärts.
Vorübergehend arbeitete ich in einer Radiofabrik, dann als Berater für Menschen, die keine Ahnung von der Kunst der Infektion hatten. Ich zeigte ihnen nicht bloß Schaubilder, sondern führte in zahllosen Selbstversuchen anschaulich vor, wie man Keime überträgt und einer Seuche erliegt. Doch längerfristig war das selbstverständlich keine Arbeit für mich, es zog mich zurück ins künstlerische Fach. Daher schloss ich mich einem Wanderzirkus an. Im Meldezelt führte ich täglich eine spektakuläre Nummer auf: Vier Stunden schlafen, erwachen, wieder einschlafen und danach stündlich erwachen. Ungefähr ein Jahr lang hatte ich damit Erfolg, bis mir ein Mädchen den Rang ablief, das auf Kommando durch den Verzehr eines Huhns eine naturgetreue Zwillingsschwester bekommen konnte – eine interessante Parallele zu dem Pfarrer, der täuschend echte junge Frauen aus Morsezeichen machte. Abermals durchlebte ich eine Zeit der Ratlosigkeit.
Eines Abends, als mein Telefon wieder einmal nicht funktionierte – so stark war die Ausstrahlung meiner Ratlosigkeit –, kam die Inspizientin in meine Garderobe gelaufen und sagte: „Es ist angerufen worden. Sie müssen sofort da und da hinfahren, Sie sind engagiert.“ Der Zug stand schon am Hauptbahnhof bereit. Es ging so schnell, dass ich erst im Abteil dazu kam, meinen Koffer zu packen. Ich nahm reichlich Wintergarderobe mit und sparte auch nicht an Skimützen, denn seit dem kalten August anno 06 gab ich mich, was das Wetter betraf, keinen Illusionen mehr hin. Bei hochsommerlichen Temperaturen kam ich in der letzten dreidimensionalen Stadt vor dem gemalten Hintergrund an.
Wie sich zeigte, sollte ich als Ablassmusiker mit hoher Stirn im Konzertcafé Klingenberger auftreten. Die Bratkartoffeln waren dort am besten und die Erbschaftssteuer war am niedrigsten. In dringenden Notfällen gab es auch an Mittwochabenden Vorstellungen. Allerdings galt Klingenberger selbst als furchtbar strenger Mann. Von mir verlangte er eine Lilliputanernummer. Das hieß: eine Nummer, in der ich dreizehn Lilliputaner auf einmal sein sollte, ohne dass meine Strümpfe rutschten.
Ich gab mir alle Mühe, konnte mich jedoch nicht richtig konzentrieren und versagte. Klingenberger drohte, mich hinauszuwerfen, gab mir großzügigerweise aber eine zweite Chance: Nachmittags beim Tanztee sollte ich Witze erzählen. Weil ich keinen einzigen kannte, improvisierte ich. Auch das misslang, und ich musste mich von Klingenberger belehren lassen: „Es spricht nicht für die Qualität der Komik, wenn der Vortragende mit den Worten schließt: ,So, nun ist der Witz zu Ende.‘“
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