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DIE WAHRHEITDer Pinselkauf

Kolumne
von Eugen Egner

Ich hatte seit Jahrzehnten die Angewohnheit, Farbe mit Hilfe von Pinseln auf Papier aufzutragen. Mit der Zeit nutzten sich die Haare der Pinsel ab und schwanden.

I ch hatte seit Jahrzehnten die Angewohnheit, Farbe mit Hilfe von Pinseln auf Papier aufzutragen. Mit der Zeit nutzten sich die Haare der Pinsel ab und schwanden. Weil mich dieser dem Schöpfungsplan zu verdankende Vorgang aufs Unangenehmste an die Entwicklung meines Haupthaars erinnerte, verabscheute ich ihn. Wollte ich seinetwegen meine weiter oben genannte Angewohnheit nicht in absehbarer Zeit aufgeben, musste ich neue Pinsel anschaffen.

Der letzte Bus fuhr um 0.27 Uhr, doch war ich glücklicherweise nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Zu jener Zeit war ich oft mit einem großen, schweren Mann in dessen Kraftwagen unterwegs, so dass sich der Pinselkauf bequem erledigen ließ. Der Fahrzeugführer war ein genussfreudiger, begeisterungsfähiger Mensch, der überall sehr viel kaufte und gegenüber dem Bedienungspersonal freizügige Reden führte. Gleich im Eingangsbereich eines Geschäfts pflegte er sich auf den erstbesten feilgebotenen Unfug zu stürzen, denselben für unverzichtbar zu erklären und seinen Einkaufswagen damit zu füllen. Im Pinselgeschäft würde es kaum anders sein.

Beim Betreten desselben wurden wir Zeugen einer Szene. Der Inhaber brüllte einen seiner Verwaltungsangestellten an, ab sofort sollten die ausgehenden Rechungen fortlaufend nummeriert werden. Das Finanzamt habe jedes Recht der Welt, dies zu verlangen, und wer sich solcher Anordnung widersetze, stelle sich gegen Gott. Ich erinnerte mich: Gott wurde übernatürliches Talent nachgesagt. Dann wurde der Inhaber auf uns und auf mich im Besonderen aufmerksam. „Sie hier, im Pinselgeschäft?“, fragte er. „Ja“, antwortete ich, „das Bedürfnis, Pinsel zu kaufen, ist sehr stark.“

Ich solle mir das Pinselkaufen nur nicht so leicht vorstellen, warnte mich der Händler, mit meinen schwachen Nerven ginge ich da ein beträchtliches Risiko ein. Hier mischte sich der große, schwere Mann an meiner Seite mutwillig ins Gespräch und erzählte von einer Verwandten, die nur einmal monatlich Stuhlgang hätte und jedesmal beteuerte, das sei schwerer als Kinderkriegen. „So schwer wird das Pinselkaufen schon nicht sein“, schloss mein Begleiter lachend.

Der Händler musterte ihn mit giftigem Blick und erwiderte: „Ich muss wahnsinnig sein, dass ich Neurastheniker und Verrückte in meinen Laden lasse.“ Im nächsten Augenblick war er türknallend in seinem Büro verschwunden. Davon unbeeindruckt, kaufte ich sodann Pinsel, wie es mir beliebte und erforderlich erschien. Es zeigte sich, dass ich stark genug war.

Im Pinselgeschäft gab es neuerdings auch Kaffee, belegte Brötchen sowie große, schwere Steine, die in einem Hinterzimmer aufgeschichtet lagen. Der Mann, mit dem ich unterwegs war, wollte die Steine gern alle kaufen, musste sich vorher jedoch mit Kaffee und belegten Brötchen stärken. Ich sah ihm dabei zu. Um seine Nahrung aufzunehmen, öffnete er wiederholt den Mund, und jedesmal fielen verschieden große Metallplatten heraus. Ein Arzt hätte da bei ihm „eine Kleinigkeit geändert“, erklärte er mir.

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1 Kommentar

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  • E
    E.Jandl

    Nachtrag

     

    »1927« fügte der große, schwere Mann hinzu, »hat ein gewisser Brunold Springer im Verlag der Neuen Generation, Berlin-Nikolassee, ein schwachsinniges Büchlein ›Die gemialen Syphilitiker‹ öffentlich gemacht. Verquetschte Lyrik, die mit der Realität bizarr zusammenstößt. Zur Pinselproblematik findet sich dort folgendes:

    "Bei kranken Malern erhält sich meistens ein Rest ihrer Fertigkeit, ihrer Hand, so dass sie nicht ganz ihrem Schaffen entzogen werden; so hat auch Manet noch in der Zeit seiner Krankheit sehenswerte Blumenstilleben gemalt, während andrerseits Hans Makart, sein Kunst- und Leidensgenosse, sogleich nach Ausbruch seiner Krankheit den Pinsel sinken lassen musste." Herzlichen Glückwunsch!«

    »Schade, dass Spirochäten so selten lachen«, antwortete ich.