DIE WAHRHEIT: Die Dunkelfrau
Schwule und Lesben als Feindbild der regierungsamtlichen Rechtsauslegerin Katherina Reiche.
Die Konservativen werden gejagt, der CDU/CSU sitzt das Bundesverfassungsgericht im Nacken. Spätestens im kommenden Jahr wird Karlsruhe die Regierenden dazu verdonnern, homosexuelle Partnerschaften der Ehe gleichzustellen. Aber bis dahin wird verbal noch einmal aufgerüstet, jetzt mit einer Frau an der Spitze, Katherina Reiche.
Die brandenburgische Rechtsauslegerin und derzeitige Staatssekretärin im Bundesumweltministerium hat unlängst in der Bild-Zeitung die neuesten Parolen ausgegeben. „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften“, hetzt sie vor sich hin. „Neben der Euro-Krise ist die demografische Entwicklung die größte Bedrohung des Wohlstands.“ Meint: Homosexuelle sind wert-, weil kinderlos.
Mit dieser imaginierten Bedrohung durch mangelnden Nachwuchs steht Frau Reiche in schrecklicher Tradition. Schon die Nationalsozialisten warnten vor dem Aussterben des Volkes, würde die Homosexualität um sich greifen. „Das Volk, das sehr viele Kinder hat, hat die Anwartschaft auf die Weltmacht und Weltbeherrschung“, orakelte 1937 der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, in einer seiner Geheimreden zur „Homosexuellenfrage“ und fuhr fort: „Ein gutrassiges Volk, das sehr wenige Kinder hat, besitzt den sicheren Schein für das Grab, für die Bedeutungslosigkeit in 50 und 100 Jahren, für das Begräbnis in 200 und 500 Jahren.“
Dieser starke Tobak, durch keinerlei Zahlen und Analysen rational zu belegen, beeindruckte die nachfolgenden Generationen. So meldete sich mit ähnlichem Zungenschlag im Jahr 2000 ein anderer Homohasser zu Wort, Johannes Dyba, der damalige Erzbischof von Fulda. „Die besondere Förderung von Ehe und Familie hat unsere Verfassung natürlich nicht ohne Grund vorgesehen, sondern weil von gesunden und glücklichen Familien unser aller Zukunft abhängt“, führte er im Spiegel gegen die geplante Homo-Ehe ins Feld. „Wenn der Nachwuchs ausbleibt und keine starke neue Generation mehr heranreift, dann sind all die Milliardeninvestitionen für wissenschaftliche und technische Zukunftsprojekte in den Sand gesetzt.“
Wer glaubt, Katherina Reiche stehe heute mit ihrem Unsinn alleine da, der liegt falsch. Nicht nur der Irre von Bild, Kolumnist Franz Josef Wagner, springt ihr bei und lässt uns wissen, warum er sich nicht wohl fühle bei dem Gedanken, homo- und heterosexuelle Ehen würden gleichgestellt, denn: „Homosexuelle kriegen biologisch keine Kinder.“ Und lobt dann doch – so viel Borderline muss sein – Deutschland dafür, dass es Homosexuelle nicht mehr ins Gefängnis steckt. Die intellektuelle Variante von derlei schlichten Gedankengängen liefert FAZ-Herausgeber Berthold Kohler. Nur Richtiges habe Frau Reiche gesagt, schließlich tue sie nichts anderes, als die „gesellschaftliche Lebenswirklichkeit“ anzuerkennen.
Die blanke Wut hat Deutschlands Lesben und Schwule gepackt über diese tiefsitzende Verachtung à la Reiche, die spontan eingerichtete Facebook-Seite „Keine Zukunft mit Katherina Reiche“ zählt inzwischen knapp 9.000 Anhänger. Durch diese massive Ablehnung lässt sich die CDU-Politikerin jedoch nicht beirren, beschwert sich gar via Bild: „Diejenigen, die am lautesten nach Toleranz rufen, besitzen selbst offenbar am wenigsten davon.“ Mit dieser perfiden Retourkutsche wurde schon immer versucht, Minderheiten in ihre Schranken zu weisen. Doch nicht genug, in der Folge belebt Reiche abermals eine alte, schon von den Nazis gebrauchte, Vorurteilsfigur neu.
Sie vermute, so erzählt sie der FAZ, „eine gut vernetzte, sich radikalisierende Gruppe“ hinter der Aktion im Internet. Die Bedrohung durch das gesamte homosexuelle Kollektiv, sobald einer von ihnen nur seine Stimme erhebt, hatte auch schon Heinrich Himmler gefürchtet: „Sie finden keinen Homosexuellen irgendwo allein, sondern immer gleich 5 oder 6 im selben Amt oder Betrieb … Denn einer zieht den anderen nach.“
Das also ist der Geist, zu dem sich eine christdemokratische Politikerin zurücktreiben lässt, wenn sie die homosexuelle Gefahr heraufziehen sieht. Ihre Argumente folgen nicht mehr irgendeiner Vernunft, sondern nur noch dem Ressentiment im Affekt, sind dabei aber platziert in einer schauerlichen Tradition. Und hier liegt der nächste Skandal in der Angelegenheit Reiche: Sie darf es sagen, ohne dass sich öffentlich auch nur ein Bruchteil der Entrüstung zeigt, die in dem Moment losbrechen würde, wäre beispielsweise von Juden oder Schwarzen im gleichen Ton die Rede. Ist dieser Mangel an Gegenrede nichts weiter als das heimliche Einverständnis mit dem Vorurteil ? Oder sind Homosexuelle einfach nicht ernst zu nehmen?
Lesben und Schwule sind keine geschützte Gruppe hierzulande, man kann sie immer noch beleidigen, zutiefst verletzen und ihnen jeglichen Respekt absprechen. „Die Gesellschaft wird nicht von kleinen Gruppen zusammengehalten“, sagt Katherina Reiche noch, „sondern von der stabilen Mitte.“ Wertlos sind Homosexuelle also auch hier. So deutlich hat es lange keiner mehr gesagt.
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