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DIE WAHRHEITKlavierkonzert bei Klingenberger

Kolumne
von Eugen Egner

Kommissar Kleb, mit dem ich am Morgen wegen der vom Zug enthaupteten Männerleiche zu tun hatte, rief mich im Hotel an, kaum, dass ich die Toilette aufgesucht hatte.

K ommissar Kleb, mit dem ich am Morgen wegen der vom Zug enthaupteten Männerleiche zu tun gehabt hatte, rief mich im Hotel an, kaum, dass ich die Toilette aufgesucht und mir die Hände gewaschen hatte.

„Kommen Sie heute Abend zu Klingenberger?“, fragte er. „Der Vortrag über die Blockbramme fällt aus, stattdessen gibt es ein Klavierkonzert mit der Tochter des Blockstellenwärters. Ich dachte, wo Sie hier doch völlig fremd sind …“

Das war wirklich freundlich von ihm. Ich hatte mir schon Gedanken gemacht, wie ich den Abend verbringen sollte, und das Schlimmste befürchtet. Klebs Anruf war meine Rettung. Ein Klavierkonzert, das war freilich etwas anderes, als in meinem öden Hotelzimmer zu sitzen, meinen Bericht zu schreiben und mich allmählich in den Schlaf zu trinken, während sich draußen die Revierkater anschrien. Freudig nahm ich das Angebot an. Das Konzertcafé Klingenberger kannte ich, vom Bahnhofshotel war man zu Fuß in sieben Minuten dort.

Bis jetzt war das Gespräch ganz vernünftig verlaufen, ich hatte mich schon darüber gefreut, doch zu guter Letzt stellte mir mein Dämon wieder ein Bein, so dass ich, anstatt mich zu verabschieden, etwas vollkommen Unangebrachtes, ja Idiotisches daherredete: „Und ein Klavier wird da sein? Oder soll ich eins mitbringen?“

Kaum war mir dieser deprimierende Blödsinn entfahren, verspürte ich den altbekannten Wunsch, augenblicklich meine eigene Existenz auszulöschen, und zwar rückwirkend bis zum Moment meiner Zeugung. Ich war ein hoffnungsloser Fall, niemand wusste das besser als ich. Nun hatte ich mich vor Kleb komplett blamiert, am besten fuhr ich mit dem nächsten Zug zurück nach Hause.

„Sehr freundlich“, hörte ich da jedoch meinen Gesprächspartner ganz ernst antworten, „das ist nicht nötig, ich werde meins mitbringen.“ Abermals war ich gerettet. Wir verabredeten uns für neunzehn Uhr dreißig bei Klingenberger. „Bis nachher.“ – „Ja. Nochmals vielen Dank.“

Da klopfte es an die Zimmertür. Die Empfangsdame hatte eine Nachricht für mich: „Frau Krüger lädt Sie für heute um zwanzig Uhr ein. Alle Achtung! Gleich am ersten Abend! Da gehen Sie natürlich hin.“

Frau Krüger war diejenige, um derentwillen die Männer sich vor den Zug warfen. Von ihr eingeladen zu werden, bedeutete eine große Ehre, aber ich war doch schon verabredet. „Eigentlich will ich zum Klavierkonzert bei Klingenberger“, brachte ich vor. „Ach, scheiß drauf!“, entgegnete die Empfangsdame. „Gehen Sie duschen und sich umziehen!“ Sie bestellte mir ein Taxi, und um Punkt zwanzig Uhr klingelte ich an der Haustür von Frau Krügers Bungalow.

Eine elegante Frau von Mitte vierzig öffnete. Als sie mich sah, erschrak sie und rief: „Endlich begegne ich Ihnen wirklich! Ich kenne Sie aus meinen Träumen, wir haben ein Kind miteinander!“ Schon lief sie, um es zu holen. Nach ein paar Minuten kam sie schwer atmend zurück, an ihrer Hand ein widerspenstiges Kind. „Hier, bitte“, sagte sie. Es sah mir in der Tat ähnlich.

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