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Archiv-Artikel

DIE TRAGEZEIT IST KEIN ZUCKERSCHLECKEN Guter Hoffnung

ULI HANNEMANN

LIEBLING DER MASSEN

Auf dem Rückweg vom Laufen gehe ich wie so oft noch in den Supermarkt. Die Rennerei macht Kohldampf. Ein Tragebehältnis habe ich nicht dabei, macht aber nichts, ich stopfe die Sachen einfach vorn in die Kängurutasche meines Kapuzenpullovers. Das beult ganz schön aus, doch egal. Mein Essen hat es darin warm und sicher. Es braucht sich nicht zu sorgen, ihm mangelt es an nichts. Ich werde es austragen, nach Haus tragen, in die Pfanne hauen. Ich bin die Kängurumutter.

Vorsichtig balanciere ich zum Ausgang und weiter zu meinem Fahrrad. Darf ich in diesem Zustand überhaupt noch Fahrrad fahren, schwanger mit vier Bratwürsten und einer kleinen Dose Kartoffelsalat? Ist das nicht zu gefährlich für die Frucht meines Einkaufs? Es ist erstaunlich, wie schnell andere Umstände ganz automatisch die Verantwortung befördern.

Ich bin nicht mehr allein und werde es auch die nächsten Minuten nicht mehr bleiben. Stolz verspüre ich nicht – das ist schließlich die natürlichste Sache der Welt –, doch die Glückshormone schießen, jetzt weiß ich endlich mal, wie sich das anfühlt. Die Farben sind viel intensiver als normal, ebenso die Gerüche. Liebe durchströmt mich, so ein inniges Gefühl, fast inniger noch als Hunger. Ich hoffe nur, ich muss nachher nicht kotzen.

Meine Freude schreit geradezu nach lyrischer Verarbeitung:

Lieblich streng zaust der Wind mein offenes Haar.

Milch des Südens.

Meisenkönigs Träume entzünden glorichten Tann.

In Leibesmitte gärt Gottes Gabe.

Lieb’s Würmelein, rosig und nackt.

Wie eine Bratwurst, fein, das Kilo im Angebot für neunundfünfzig Eurocent.

Ah, da geht ja noch eine Schwangere. Solidarisch nicke ich ihr zu. Frau Kollegin, hallo, wie schön. Was wird denn deins? Meins wird ein Mittagessen. Denke ich und lächle sie nun auch noch andeutungsweise an, wobei das Wort „anlächeln“ ähnlich wie anprobieren, anbohren, angraben o. Ä. eher eine Art halbziellos in die Luft geschickten Testballon bezeichnet.

Oh, Verzeihung: Nach einem zweiten Blick in ihr Gesicht trete ich sofort von dem gestarteten Versuch zurück. Denn ihr ist nicht so danach. Sie wirkt nicht glücklich. Also nicht eins mit ihrer Schwangerschaft – es sieht so aus, als identifiziere sie sich aber mal so gar nicht mit der Situation.

Manchmal geschehen ja auch ungeplante Dinge. Und sie möchte augenscheinlich nicht daran erinnert werden. Nicht konspirativ durch andere Schwangere. Nicht durch Männer, denn derentwegen dürfte das Verhängnis seinen Lauf genommen haben, mit Anlächeln hat es womöglich angefangen, bei einem Reagenzglashintergrund würde sie bestimmt nicht so ne Fresse ziehen. Und schon überhaupt nicht durch schwangere Männer, das ist natürlich gleich doppelt schlimm.

Ein kleiner Schatten umwölkt auf einmal meine Seele an diesem wunderschönen Frühlingstag. Nicht alle freuen sich so wie ich, und das muss ich akzeptieren, so schwer mir das in meinem Taumel fällt. Am liebsten würde ich alle mitnehmen auf meiner wunderbaren Reise durch das tiefe Glück. Au. Da hat mich grad ein scharfer Schmerz erwischt. Der Kartoffelsalat muss sich bei einer unvorsichtigen Bewegung quer gestellt und dann verkantet haben.

Beruhigend rede ich auf ihn ein und streiche mit der rechten Hand sanft über meinen Bauch, bis sich der kleine Murkel darin wieder zurechtgeruckelt hat. Außerdem knurrt mein Magen. Aber kein Problem, mir ist schon klar, dass meine Tragezeit kein reines Zuckerschlecken wird. Das gehört nun mal dazu. Es dauert ja nicht mehr lang.