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DIE STRASSE IST EIN SCHLACHTFELD: DAS WEISS, WER REGELMÄSSIG FAHRRAD FÄHRT. UND WEICHT ER DA DEM GELÄNDEWAGEN NICHT AUS, DANN IST ER EBEN SELBST SCHULDHarte junge Männer

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Das Automobil ist eines der größten Übel der Menschheit. Es vergiftet und tötet, es verpestet die Stadt mit Gestank und Lärm. Aber wie soll der Mensch ohne das Auto auskommen? Wie soll er irgendwo hinkommen? Wenn ein Mensch erst mal ein Auto besitzt, weiß er das nicht mehr. Wie soll man etwa die Einkäufe ohne Auto nach Hause kriegen? Einkäufe rollt man in einem Einkaufswagen herum und dann lädt man sie in den Kofferraum, anders ist das nicht vorstellbar.

Am Wochenende bin ich zweimal mit einem Auto mitgefahren und habe auch ein paar Probleme des Autofahrers miterleben können. Am Freitag war in Hamburg Blitzmarathon, ich saß also in einem Auto, das geblitzt wurde. Ein Marathon ist ursprünglich eine Laufveranstaltung. Angeblich soll mal ein Mann nach einer Schlacht im griechischen Dorf Marathon nach Athen gerannt sein, um die Botschaft von einem Sieg zu überbringen. Für ihn war das damals noch nicht so gesund, weil er gleich danach tot umfiel. Der Blitzmarathon ist auch eine sportliche Veranstaltung: Autofahrer ringen mit der Polizei ums Erwischtwerden. Sie bremsen an den richtigen, vorher angekündigten Blitzpunkten ab – und geben dann wieder Gas.

Die anderen, die Polizei, erwischen dennoch ein paar Dumme oder jugendliche Straftäter, die sich die Mühe nicht machen, irgendwas zu recherchieren. Oder zu blau sind, um zu bremsen. 1.500 sind also erwischt worden, am Freitag in Hamburg, und nicht alle waren jugendlich und/oder betrunken. Manche waren einfach nur zu schnell, einfach so, man denkt nicht dran, oder an was Schöneres als an Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Am Wochenende danach gab es dann auch Gelegenheit, wieder richtig Gas zu geben: Da trafen sich sportliche junge Menschen in Hamburg-Allermöhe. Ich habe selbst mal in Hamburg-Allermöhe gewohnt und weiß, dass es eine junge und moderne Gegend ist, wo man sich gut treffen kann. Von da sind die sportlichen jungen Menschen in ganz Hamburg ausgeschwärmt, um ihrem Sport nachzugehen: Rasen in der Stadt.

Das Rasen in der Stadt ist mit bestimmten Risiken verbunden. Dem Erwischtwerden zum Beispiel, dem Autokaputtgehen und dem Sterben. Letzteres betrifft auch Unbeteiligte. Wenn man jung ist und auch noch ein Mann, dann braucht man solche Herausforderungen. Und wo hat ein junger Mensch in unserer Gesellschaft eine bessere Möglichkeit, sich oder andere leichtfertig und wie nebenher umzubringen, als auf der Straße? Die Straße ist ein natürliches Schlachtfeld. Ich weiß das, ich fahre täglich Fahrrad. Der Stärkere hat recht, das ist eben die Natur, Fußgänger können von allen totgefahren werden, danach kommen die Radfahrer, dann die PKWs und über allen stehen die SUVs, das sind die Kampfroboter aus dem All, und wer einem SUV nicht ausweicht, der ist selbst schuld, weil er die natürliche Macht des Kampfroboters nicht anerkennt.

Und wer am härtesten ist, der ist am schnellsten. Jungen Männern liegt das Hartseinwollen im Blut, es ist ihr oberstes Ziel. Und sie setzen was dafür aufs Spiel, in Hamburg haben einige der sportlichen jungen Fahrer jetzt für drei Monate oder sogar noch länger Fahrverbote bekommen. Wie sollen sie jetzt weiterleben? Was wird aus ihnen in dieser Zeit – und was wird vielleicht für immer zerstört, in ihrer Seele, wenn sie den Bus nehmen müssen? Man weiß es nicht, man kann sich nur wünschen, dass sie Freunde haben, die ihnen in der schweren Zeit beistehen. Und sie auf dem Beifahrersitz mitfahren lassen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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