DIE SPD-FRAKTION OPPONIERT GEGEN DIE FÖDERALISMUS-REFORM : Die Freiheit zu gehen, wenn es ernst wird
Die große Koalition beschert den Abgeordneten mehr Freiheiten. Denn die Mehrheit ist komfortabel und Schröder, der die SPD-Fraktion an die Kandare nahm, Geschichte. Ein hübsches Bild.
Leider stimmt es nicht. Wie sehr die SPD-Fraktion die Machtlogik verinnerlicht hat, zeigt ihr verhuschter Umgang mit der Föderalismusreform. Kritik daran gibt es zuhauf. Die parlamentarische Linke und die Netzwerker – und damit die Mehrheit der Fraktion – kritisieren, dass Bildung und Umwelt ganz und gar Ländersache werden. Zu Recht. Denn das bedeutet mehr Ungleichheit und Bürokratie. Die Mehrheit der SPD-Fraktion blickt also skeptisch auf diese Reform. Trotzdem hat sie zugestimmt, dass sie ins Parlament eingebracht wird. Zumindest hat Fraktionschef Struck dies festgestellt. Manche Abgeordnete sahen das ganz anders: Die meisten MdBs waren sowieso schon weg.
Man muss sich dieses Szenario vor Augen führen: Die SPD-Fraktion entscheidet, ob sie zu dem wohl wichtigsten Projekt der großen Koalition prinzipiell ja sagt. Doch als die Entscheidung fällt, sind viele kritische Netzwerker & Linken auf dem Weg in die Kneipe. So kann man die Freiheit des Abgeordneten auch definieren – als Freiheit zu gehen, wenn es ernst wird.
Jetzt heben manche ihre Stimme. Wolfgang Thierse wettert, es sei ein Unding, wenn die Reform „nur noch bestaunt, aber vom Parlament nicht mehr angetastet“ werden dürfe. Das klingt markig. Und meint doch nur Selbstverständliches: dass der Bundestag bei der größten Verfassungsänderung seit 1949 mit entscheiden darf.
Die Föderalismusreform ist eine Probe für die SPD-Fraktion. Sie hat die Wahl zwischen Macht- und Sachlogik. Die Machtlogik sagt: Wenn die Reform scheitert, wackelt die Regierung. Die Sachlogik empfiehlt, das Unvernünftige abzuwenden. Denn wer will eine Reform, die selbst bald wieder reformiert werden muss? Heute debattiert der Bundestag über die Reform. Für die SPD reden fünf Abgeordnete. Dabei sind vehemente Verfechter der Reform, aber keine Kritiker. Demokratie buchstabiert man anders. STEFAN REINECKE