DIE RÜRUP-REFORM VERÄNDERT KÜNFTIGE ERWERBSBIOGRAFIEN : Politik, die auf den Körper zielt
Die Zahlen sind frappierend: Von den Arbeitern, die im Jahre 2002 in Rente gingen, beantragten mehr eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Schwerbehinderung als wegen Alters oder nach langjähriger Versicherung. Krankheit und Behinderung sind also für viele Menschen eine immer wichtigere „Exit-Option“ für eine verschleißende Berufsbiografie – nicht zuletzt, weil für diese Renten ein niedrigeres Zugangsalter gilt als für die normalen Altersrenten. Dass die Rürup-Kommission jetzt die Bedingungen auch für diese Ruhestandsbezüge erschweren will, ist daher besonders heikel. Die neue Sozialpolitik zielt zunehmend auf den Körper. Und damit wiederum auf jene Schichten, die in ihrem Berufsleben besonders verschleißende Jobs innehaben.
Die Rürup-Kommission will das Renteneintrittsalter für Schwerbehinderte anheben. Zudem soll sich die so genannte Rente für Erwerbsgeminderte künftig nur noch nach deren körperlichem Zustand richten – und nicht mehr nach ihren wirklichen Jobchancen. Werden diese Renten für Erwerbsgeminderte beschränkt, wird das Renteneintrittsalter erhöht und sind dann auch die Hartz-Kürzungen in Kraft, könnte sich die Erwerbswelt in Zukunft dramatisch verändern. Viele Leute jenseits der 55 können dann nicht mehr via Krankschreibung, Arbeitslosengeld oder Erwerbsminderungsrente in einen frühen Ruhestand wechseln. Stattdessen gerieten sie in eine Zwischenphase – viel zu jung für die Rente mit 67, aber zu verschlissen für den Arbeitsmarkt. Sie müssten erst eine jahrelange Phase der Sozialhilfe durchmachen, bis sie in den Ruhestand wechseln können.
Sozialpolitiker sagen nun gern, man wolle mit den neuen Vorschlägen die gängigen teuren Praktiken der Frühverrentung erschweren. Das ist zwar nachvollziehbar – aber es sind Sozialexperimente an lebenden Menschen. Denn den Druck werden die Arbeitgeber nicht in schonende Arbeitsplätze umsetzen, diesen Druck bekommen gesundheitlich angeschlagene Beschäftigte und Erwerbslose ab. Das sollten die Politiker endlich zumindest ehrlich sagen. BARBARA DRIBBUSCH