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DIE POST-TRUMP-STUDIENWOCHEN WAREN ERGIEBIG. LEIDER WERDEN KLUGE TEXTE NICHT IMMER RECHTZEITIG GELESENJasager dringend gesucht

Foto: Stefan Boness

Mittelalter

Ambros Waibel

Die letzten Wochen waren Wochen des Lernens. Also gute. Nicht nur in unserer Zeitung – aber natürlich doch vor allem – sind wichtige Texte erschienen, die den Trump-Schock zum Anlass nehmen mussten, unsere Zeit neu zu verstehen. Und auch das Tun ist ein neues geworden, wie Österreich gezeigt hat. Die Antwort auf den „Rechtspopulismus“ ist nicht mehr allein der hier mal probeweise eingeführte „Kontinuismus“, also das Weitermachen wie bisher, sondern eine sich die Hände schmutzig machende politische Kampagne – nicht für das Gute an sich, aber doch für das Bessere, eben für Alexander Van der Bellen.

Wir haben Interviews lesen können, die uns, aber vor allem den Repräsentanten des Kontinuismus klar vor Augen führen, dass der AfD nach dem Munde zu reden genau der falsche Weg ist. Wir haben die Psychopathologie der Hofers und Höckes erklärt bekommen, ihren Gut-drauf-Faschismus, der die guten Sitten wie einen lästigen Rucksack euphorisch abwirft; und wir und die Kontinuisten haben hoffentlich verstanden, dass wir auch selbst eine glaubwürdige frohe Botschaft verbreiten müssen.

Dabei bleibt viel offen: Eine intellektuell ausgereifte Alternative zum deutschen Europa, zur Austeritätspolititk und zu den für ihre Durchsetzung nötigen Regime-Changes ist nicht in Sicht – auch wenn die Italiener ihrem Basta-Politiker Matteo Renzi eine klare Abfuhr erteilt haben. Bei den Menschen, mit denen ich in Italien spreche und auf deren Urteil ich etwas gebe, ist die Gemütslage diffus: Renzi weinen sie keine Träne nach, aber die Herrschaft des bürokratisch-geheimdienstlich-mafiosen Komplexes, der nun, im politischen Vakuum, wiedereinmal die Fäden in der Hand hat, beunruhigt sie ebenso wie eine mögliche Machtergreifung der in Teilen nach rechts außen offenen 5-Sterne-Bewegung Beppe Grillos (den wir mal aufhören können, einen „früheren Komiker“ zu nennen, oder aber gerechterweise bei Sigmar Gabriel nie die Beifügung „früherer Popbeauftragter“ vergessen sollten).

Auch die Frage, was das derzeit allgegenwärtige nette „Linksliberale“ (was ist eigentlich aus den „Linken“ geworden?) vom bösen „Neoliberalen“ trennt, wie man also verhindert, dass die großartigen Fortschritte in der Emanzipation des Individuums der letzten Jahrzehnte von den Neochauvinisten mit der kaum minder gewaltigen Durchökonomisierung aller Lebensbereiche in einen Topf geworfen und gemeinsam entsorgt werden, scheint mir ungeklärt.

Eine Sache, die mir zu alldem einfällt und die mich immer ziemlich berührt hat: Im Jahr 1778 legte ein junger bayerischer Staatsbeamter, Maximilian von Montgelas, seinem Fürsten eine Skizze weitreichender Pläne zur Befreiung der geknechteten Bauern vor, als Grundlage, um überhaupt einen modernen Rechtsstaat entwickeln, um, kurz gesagt, das Mittelalter endlich beenden zu können. Das Projekt war ziemlich gnädig mit den superreichen Feudalherren, aber eben doch faktisch eine Enteignung; und fand dementsprechend interessierte Leser erst mit mehrhundertjähriger Verspätung.

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