DIE LIEBESERKLÄRUNG : Das kann weg
IN DER ARGENTINISCHEN STADT CHIVILCOY IST SCHLUSS MIT SCHÖNHEITSWETTBEWERBEN
So viel Aufmerksamkeit hätte keine Misswahl dem Ort Chivilcoy bescheren können: In der Kleinstadt mit 59.000 EinwohnerInnen in der argentinischen Provinz Buenos Aires hat der Stadtrat beschlossen, keine Schönheitswettbewerbe mehr durchzuführen. Und schon wird Chivilcoy international von der Presse gefeiert. Natürlich sei das ein großartiger Beschluss, gar ein feministisch-wertvoller. Schließlich sei ja ganz Südamerika verseucht von diesen Misswahlen.
Dabei ist der Entschluss des Stadtrats einfach nur fortschrittlich und beendet einen absurden Anachronismus.
„Ich liebe Menschen, Orte und Dinge.“ „Ich wünsche mir Weltfrieden.“ „Ich bin für Tierschutz.“ Wer gibt für eine wertlose Krone solch dummes Zeug von sich?
Offenbar doch noch einige. Schließlich wurde erst vor Kurzem der 21 Jahre alte Erzieher Robin Wolfinger zum Mister Germany 2015 gekürt – vor 500 Zuschauern. Erst mussten die Männer im Anzug auftreten und ein Gespräch bestehen. Danach traten sie in Jeans und mit freiem Oberkörper vor die Jury. Voraussetzung ist also, sich an- und ausziehen zu können. Immerhin.
Das ist Anachronismus pur – nicht nur aus politischen Gründen. Denn längst hat sich der Ort der Selbstinszenierung geändert. Wer berühmt und schön genannt werden will, richtet sich einfach einen Blog ein. Und wenn es gut läuft, sehen einem nicht nur 500 Menschen zu. Ein Blog bietet auch Möglichkeiten fern aller Schönheitswettbewerbe. Es kann dort mehr geschrieben werden, als in einer Minute gesagt werden kann. Und niemand diktiert einem irgendwelche antiquierten Körperideale. Das Netz: Ort der Freiheit, Ort der Sehnsucht, Ort des Narzissmus.
Der Stadtrat von Chivilcoy hat das verstanden und widersetzt sich dem alten Schönheitsköniginnenkonzept auf progressive Weise. ENRICO IPPOLITO