DIE HELDENSTADT LEIPZIG VERSAGT BEIM UMGANG MIT DER VERGANGENHEIT: Alles gleich Stasi
Aufdecken, anprangern, anklagen: Der oberste Stasi-Aufklärer Sachsens hieß vor zehn Jahren Michael Arnold. Nie hat er ein Hehl aus seiner Biografie gemacht: Arnold hatte seinen Militärdienst beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ absolviert, einer Stasi-eigenen Elitetruppe, die Regierungsobjekte bewachte und auf Paraden zackigen Stechschritt ablieferte. Niemand störte sich seinerzeit an Arnolds Vergangenheit.
Beobachten, berichten, bewerten: Der oberste Sportjournalist der ARD heißt Hagen Boßdorf. Auch er war beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“, freiwillig, wie die meisten jungen Männer, die sich von diesem besonderen Dienst besondere Vorteile erhofften. Jung, begabt, aus dem Osten und dann doch IM, hatte die Welt geschrieben, als Boßdorf den ARD-Posten übernehmen sollte. Der ORB prüfte den Fall und entschied: Die IM-Vorwürfe sind nicht haltbar – und der Wachdienst beim Stasi-Regiment ist der Karriere nicht hinderlich.
Vordenken, vorbereiten, verkaufen: Jetzt ist der oberste Olympiaplaner Leipzigs dran. Dirk Thärichen, 34-jähriger Geschäftsführer der Bewerbergesellschaft um die Olympischen Spiele 2012, wurde in die zweite Reihe zurückgerufen, nachdem er als Stasi-Mitglied „enttarnt“ wurde. Gegen Thärichen ist nichts anderes vorzubringen, als dass er beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ diente. Auch Thärichen hat nie ein Hehl aus seiner Biografie gemacht. Thärichens Pech ist, dass das Stigma Stasi im 14. Jahr der deutschen Einheit so hart ist wie nie zuvor. Egal ob Führungsoffizier, selbst verpflichteter Denunziant, Pförtner oder Wehrpflichtiger eines Wachregiments – die Anschuldigung klebt an allen gleich. Und sie reicht aus, um Menschen zu verurteilen, bevor ihre Schuld geprüft ist.
Dabei liegt der Unterschied auf der Hand: Anders als die feisten Spitzel, die sich dem Schutz der Verborgenheit sicher sein konnten, waren die – verhassten – Wachsoldaten im öffentlichen Raum präsent. Dass sie als Wachmänner in NVA-Uniform die Nobelkarossen der SED-Bonzen bewachten, mag heute grotesk, moralisch anrüchig erscheinen. Allerdings ist das eine andere Kategorie, als Menschen zu bespitzeln. Und zu denunzieren.
Dass Leipzigs Olympiaausrichter Thärichen in die zweite Reihe versetzen, ist nachvollziehbar: Zu weit liegt man mit seiner Bewerbung hinter Plan, als dass man jetzt wochenlange Stasi-Debatten verträgt. Richtig ist der Schritt aber nicht. Hatte die „Heldenstadt“ Leipzig ihre Bewerbung auf dem Mythos der Vergangenheit begründet, so dokumentiert sie jetzt, dass sie unfähig ist, mit ihr umzugehen. So führt ausgerechnet Mielkes Wachregiment den Gründungsmythos der Leipziger Bewerbung ad absurdum. NICK REIMER
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