DIE GRUNDSICHERUNG FÜR ALLE IST LÄNGST DA – SIE HEISST NUR NICHT SO : Arbeitslosengeld mit Nebenwirkungen
Manche Sozialreformen sind wie Arzneimittel: Die Risiken und Nebenwirkungen zeigen sich erst, wenn die Neuentwicklung auf Tauglichkeit getestet wird. So ist es jetzt mit der geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum so genannten Arbeitslosengeld II. Die Höhe dieser Leistung hat die zuständige Reformkommission schon geklärt – es gibt nur Geld in Höhe der Sozialhilfe –, doch jetzt taucht eine weitere Nebenwirkung auf: Wie sollen die Empfänger von Arbeitslosengeld II künftig rentenrechtlich abgesichert werden? Angesichts der knappen öffentlichen Kassen ist es sehr gut möglich, dass für die Bezieher von Arbeitslosengeld II künftig keine Rentenbeiträge gezahlt werden. Und damit erweist sich die Leistung immer mehr als das, was sie ist: ein neuer Name für die Sozialhilfe, die Erwerbslose bekommen. Nicht mehr und nicht weniger.
In Deutschland gibt es damit künftig vier Formen der Sozialsicherung für Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen können: Erstens das Arbeitslosengeld, zweitens das Arbeitslosengeld II, drittens die Sozialhilfe für Nicht-Erwerbsfähige und viertens die so genannte Grundsicherung im Alter, die alle über 65-Jährigen bekommen, wenn die Rente nicht reicht. Das Wunder der vier Begriffe liegt darin, dass die letzten drei von ihnen eine fast identische Leistung bezeichnen: eine öffentliche Unterhaltsleistung in Höhe der heutigen Sozialhilfe. Wir haben sie also schon, die Grundsicherung für alle. Es traut sich bloß niemand, sie so zu nennen. Weil damit die Wahrheit offenkundig würde, dass viele hunderttausend Bezieher dieser Leistungen wohl kaum wieder ihren Lebensunterhalt voll und ganz selbst verdienen können.
Stattdessen werden neue Leistungen eingeführt, die zwar dynamisch klingen, aber keinesfalls für weniger, sondern oft sogar für mehr Bürokratie sorgen. Beispiel Arbeitslosengeld II: Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger sollen künftig dieses Geld bekommen. Die anderen – also etwa Behinderte oder allein Erziehende – erhalten die bisherige Sozialhilfe. Was aber ist mit den Alkoholabhängigen, den Psychotikern, den Eigenbrötlern, die real die Suppenküchen bevölkern? Den medizinischen Diensten, die hier die „Erwerbsfähigen“ von den „Nicht-Erwerbsfähigen“ trennen sollen, kann man schon heute alles Gute wünschen.
Die Sozialleistungen schrumpfen, nichts anderes bedeutet das Arbeitslosengeld II. Die Massenarbeitslosigkeit aber bleibt. Deutschland wird Grundsicherungs-Land – auch wenn das keiner sagt. BARBARA DRIBBUSCH