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Archiv-Artikel

DIE GESUNDHEITSREFORM LIEGT IM TREND: GESUNDHEIT WIRD PRIVATSACHE Schleichende Privatisierung

Gesundheitsreformen sind wie Olympische Spiele: Sie kommen mit schöner Zuverlässigkeit alle vier Jahre über die Nation. Dem Gesetz der Serie gehorchend wird auch diese als groß apostrophierte Reform nicht die letzte sein, und der brandaktuelle Gesetzentwurf, den der Bundestag morgen diskutiert, wird übermorgen schon überholt sein.

Das Gesundheitswesen ist ein komplexes System, dessen zahllose Schräubchen immer neu justiert werden müssen – im Zuge der Veränderungen in der Arbeitswelt, der Bevölkerung und mit dem medizinischen Fortschritt. So weit, so vorhersehbar. Besorgniserregend ist allerdings ein Trend, der sich durch alle Gesundheitsreformen der letzten 16 Jahre zieht: Gesundheit muss immer stärker aus eigener Tasche bezahlt werden.

Der private Anteil an den gesamten Ausgaben für die Gesundheit ist seit Anfang der Neunzigerjahre bis zur letzten großen Reform 2003 von 10 auf 13 Prozent gestiegen. Die aktuelle Reform setzt diese Entwicklung konsequent fort: Das Instrument für weitere Privatisierungen ist der Gesundheitsfonds, der ab 2009 als zentrale Inkassostelle installiert wird. Aus dem Fonds werden die Krankenkassen weitgehend einheitliche Beiträge erhalten, mit denen sie ihre Ausgaben zu mindestens 95 Prozent decken können. Das bedeutet nichts weniger, als dass die gesetzlichen Kassen zu 5 Prozent unterfinanziert sein dürfen. Um diese Lücke zu schließen, können einseitig die Versicherten geschröpft werden. Von ihnen dürfen die Kassen monatliche Extraprämien erheben – zusätzlich zu den Beiträgen, die sie als Kassenmitglieder bezahlen.

Die Arbeitgeber können sich indessen zurücklehnen und der paritätischen Finanzierung des Gesundheitswesen leise Lebewohl sagen. Denn die Beiträge zur Krankenversicherung – und damit den Arbeitgeberanteil – will die Politik in Zukunft stabil halten. Da die Ausgaben allein aufgrund der größeren Zahl älterer Menschen in den nächsten Jahren um einige Milliarden Euro steigen werden, erlangen auch die Extraprämien eine steigende Bedeutung. Gesundheit wird so immer mehr zur Privat-Sache. ANNA LEHMANN