DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Protest braucht Bilder
WAS SAGT UNS DAS? Videos von Demonstrationen sollen den Jenaer Pfarrer Lothar König entlasten – und lassen seinen Prozess platzen. Die autonome Szene lehnt sie trotzdem ab
200 Stunden Filmmaterial. Darauf: Szenen der Anti-Nazi-Proteste 2011 in Dresden. Und irgendwo vielleicht auch Lothar König, der Jugendpfarrer aus Jena, der seit April wegen angeblicher Gewaltaufrufe vor Gericht steht. Genau weiß man das nicht. Denn die Aufnahmen lagen bei der Polizei, und die behielt sie für sich. Bis auch Königs Verteidigung an das Material gelangte – und so am Dienstag den Prozess gegen den Pfarrer zum Platzen brachte. Eine Verurteilung Königs: unwahrscheinlicher denn je.
Welch klareres Plädoyer könnte es geben, auf Demos die Kameras auszupacken und Gegenöffentlichkeit zu schaffen? Absehbar, welch üblichen Lauf es ohne die Filme genommen hätte: Polizisten belasten den Krawalleur, die Richter attestieren ihnen berufsbedingte Glaubwürdigkeit, Schuldspruch für König. Die Bilder aber sollen laut Verteidigern zeigen, dass König mit der Randale nichts zu tun hatte. Sie dürften ihn retten. Sie sind die mächtigste Gegenwehr der Außerparlamentarischen.
Aber nein: Die autonome Szene diskutierte zuletzt, ob das Filmen auf Demos nicht grundsätzlich verhindert werden sollte. Selbst linken Fotografen schlug der schwarze Block jüngst Kameras aus den Händen.
Dabei kann niemand ernsthaft glauben, dass im Zeitalter der Handykameras kein Passant mitknipst. Und die Polizei filmt auf Demos eh immer mit.
Es sind Bilder, die Botschaften von Protesten multiplizieren. Siehe Tahrir, siehe Taksim, siehe Dresden. Protest braucht Bilder. Und sei es, um zu zeigen, wo die Mächtigen lügen. Am Dienstag haben sie Lothar König vorläufig die Freiheit beschehrt. KO