DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Dornige Orchideen
WAS SAGT UNS DAS? Bei der Pariser Modewoche geht der Punk ab. Ja, der Punk! Bei Gaultier! Mit Irokese und Sicherheitsnadel! Mehr als 30 Jahre danach!
Die Modewelt ist bekanntlich eine Welt für sich. Eine Welt aber dann doch, die „weltweit“ irgendwelche angeblichen „Trends“ vorzugeben vorgibt. Umso größer war das Aufsehen unter den dafür bezahlten Feuilletonschreibern, als Jean Paul Gaultier dieses Jahr ganz auf die smarte Subversivität des – Trommelwirbel! – Punk setzte. Da hagelte es Sicherheitsnadeln, behelfsmäßig wirkende Klämmerchen, Lumpen-Patchwork und Laufmaschen. Der Meister, sonst konsequent beglatzt, trug zur Feier des Tages gleich selbst eine Irokesenperücke. Genau das ist es also, was sich ein inzwischen auch schon fast sechzigjähriges „enfant terrible“ darunter vorstellt, mal nicht brav und angepasst zu sein.
Wenn die Hochleistungsschneiderei in all ihrer Zwecklosigkeit wirklich die Orchideenzucht unter den Künsten ist, dann hat Gaultier mal wieder eine Orchidee mit Dornen gezüchtet. So weit, so egal. Dabei war der Punk selbst als Jugendbewegung seinerzeit schon schneller diskreditiert, als man „Sex Pistols“ sagen kann. Es mag ja sein, dass es mal perspektivlose junge Menschen gegeben hat, die ihre narzisstische Kränkung durch eine Überbetonung ästhetischer Stigmata stolz zur Schau trugen und damit positiv umwidmeten. Die eigentliche Leistung und kulturelle Mission des Punk war allerdings schon in dem Augenblick vollbracht, als die Boutiquenbesitzerin Vivienne Westwood den Look ihrer Laufkundschaft kommerzialisierte – mit den Sex Pistols als Werbeträgern.
Provokation? Schon gegen Ende der Siebzigerjahre betrachtete das wie immer wohlwollende Establishment mit fasziniertem Ekel all jene, die sich aus freien Stücken als ihr eigener Ausschuss, als „Müll“ bezeichneten und aufführten. Und das waren niemals die wirklich Benachteiligten, die von „ganz unten“, sondern immer schon die gegen ihre gediegenen Eltern rebellierenden Töchter und Söhne des gehobenen Bürgertums. Für genau dieses erzbourgeoise Publikumproduziert nun Gaultier seine distinktiven Klamotten mit aufgesticktem Scheiß-drauf-Faktor. Bleibt also alles in der Familie. Punk? Ist nicht tot, hat nur ein neues Parfüm. ARNO FRANK