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Archiv-Artikel

DIE FALSCHINFORMATION ÜBER IRAKS ABC-WAFFEN WAR KEIN AUSRUTSCHER Krieg kennt keine Ambivalenzen

Bislang galt die für sich schon ernüchternde Weisheit, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist. Spätestens nach dem Irakkrieg wird deutlich, dass der Satz viel zu kurz greift. Monate vor dem Krieg trommelte die US-Regierung zum Krieg und bezichtigte alle Skeptiker der Verharmlosung der von den irakischen Waffenarsenalen ausgehenden unmittelbaren Gefahr. Nun wird immer deutlicher, dass diese Propaganda mit einer vermeintlichen Wahrheit offenbar sehr wenig zu tun hatte.

Wenn auch US-Parlamentarier nun Aufklärung über die Arbeit ihrer Geheimdienste fordern, ist dies ein notwendiger Schritt. Aber das Grundproblem ist damit nicht beseitigt: Nicht nur Regierende, auch Journalisten haben sich zu oft von einem allzu naiven Verständnis von Geheimdiensteinschätzungen leiten lassen – auch hierzulande. Umso gefährlicher ist dies, als es bei den von den USA geführten Kriegen der vergangenen Jahre, ob vorgeblich oder tatsächlich, stets um die Abwehr einer noch nicht vollständig sichtbaren Gefahr ging: bevorstehende Menschenrechtsverletzungen, Vorbereitungen zu Terroranschlägen oder eben Programme zu Herstellung von Atom-, Bio- und Chemiewaffen. Krieg wurde also geführt unter Berufung auf angebliche „Fakten“ und „Wahrheiten“, deren Plausibilität die demokratische Öffentlichkeit in keiner Weise überprüfen kann.

Dringend bedarf es deshalb der Einsicht, dass auch die besten Geheimdienstdossiers keine absolute Wahrheit produzieren können. Und dies selbst in den Fällen, in denen sie nicht so dreist manipuliert werden, wie dies offenbar vor dem Irakkrieg geschah. Es wäre aber ein Irrtum, dass die Konstruktion solch absoluter Wahrheiten für außenpolitisches Handeln zwingend notwendig ist. Entscheidungen über diplomatische oder wirtschaftliche Druckmittel und selbst Einschränkungen der staatlichen Souveränität können mit Ambivalenzen und Fehleinschätzungen leben.

Wenn aber zu kriegerischen Mitteln gegriffen wird, gilt das nicht. Wer den Anspruch erhebt, gegen ein Land militärisch Gewalt ausüben zu dürfen, kann sich keinen Zweifel leisten. Das war offensichtlich vor dem Irakkrieg so, aber eben nicht ausschließlich dort. Der Krieg braucht immer einen absoluten Gegner, der das Böse verkörpert – auch und gerade dann, wenn er von liberalen Staaten geführt wird. Weil aber der Krieg den absoluten Gegner braucht, müssen sich seine Befürworter zu seiner Legitimation auch auf eine absolute Wahrheit berufen. Im Krieg mag die Wahrheit sterben, zu seiner Vorbereitung aber muss sie erst einmal konstruiert werden. ERIC CHAUVISTRÉ