DIE EM VOM NORDEN AUS (4) : Und täglich grüßt das Orakeltier
MARTIN ROONEY
Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande, sagt ein alter Spruch. Auch die Fußballexperten im Fernsehen stecken in einer Glaubwürdigkeitskrise, seit sie die EM auf einen Dreikampf zwischen Deutschland, Spanien und den Niederlanden reduzierten. Nach der zweiten Niederlage im zweiten Spiel sind die Niederländer schwer angeschlagen.
Aber schon seit dem ersten deutschen Spiel, das mit einem Sieg gegen Portugal endete, ist die Orakeltierbranche in Verruf geraten. Kuh Yvonne aus dem Niederbayerischen hatte zum Auftaktduell Deutschland-Portugal einen falschen Tipp abgegeben. Bei ihrem ersten Auftritt auf Gut Aiderbichl hatte sie sich ohne Umschweife dem Trog mit der portugiesischen Flagge genähert. Dabei hatte Moderator Ulli Wenger von Bayern 3 sie zuvor als „absolut tauglich“ befunden: „Sie hat Charakter, und sie hat Persönlichkeit.“ Das mag sein. Aber es hat sich herausgestellt, dass sie vor allem keine Ahnung hat.
Bei aller Kritik muss man ihr zweierlei zugute halten. Yvonne hatte ein sehr schweres Erbe anzutreten. Das Vermächtnis ihres Vorgängers Paul wog schwer, die Trefferquote des Kraken lag bei 100 Prozent. Und gewisse Anlaufschwierigkeiten sind normal. Zudem sollte man ihre Fähigkeiten nicht unterschätzen. Sie war zwar unvermittelt auf Portugals Futtertrog zugesteuert, hatte dort aber nur ein paar Häppchen genommen und war anschließend zum deutschen gesprintet. Vielleicht hatte sie nur ein Warnsignal senden wollen. Immerhin fehlten bei Pepes Lattenschuss nur Zentimeter, später traf Nani die Latte, und der eingewechselte Varela vergeigte eine hundertprozentige Chance zum Ausgleich.
Doch haben sich aussichtsreiche Kandidaten als Nachfolger von Yvonne inzwischen in Stellung gebracht. Zu nennen wären die Möwen auf Usedom, die sich darauf spezialisiert haben, auf Brötchenkrümel vor einem Deutschland-Schild zu stürzen. Zwergotter-Weibchen Ferret aus Aue, das trainiert ist, sich über das sehr deutsche Mahl aus Würmern, Nüssen und Käse herzumachen. Ein ganz heißer Tipp sind die kickenden Elefanten Sharukh und Shanti aus Hamburg und ihr Trainer, die Mini-Bulldogge Xaver, die norddeutsche Wurst von ausländischer unterscheiden kann.
Zum Glück hat das Schaf Thomas am Mittwochnachmittag im Bremer Bürgerpark sein Scherflein (besser: Häuflein) an der richtigen Stelle gemacht und so zum deutschen Sieg beigetragen, den ich mir in Schwachhausen bei meinem Kumpel Wilfried, früher Rechtsaußen der A-Jugend von Viktoria 08 Georgsmarienhütte, angeschaut habe.