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Archiv-Artikel

DIE BRITEN LIEBEN BERLIN, WIR LIEBEN UNSERE RÄDER In Berlin, the bicyclist is king

VON ULRICH GUTMAIR

Seit Neuestem werde ich von einem interaktiven Straßenschild zurechtgewiesen, das man neben der Grundschule auf dem Koppenplatz aufgestellt hat. Immer, wenn ich zügig heranrolle, fängt es zu blinken an: „Langsam!“ Die ersten Tage fühlte ich mich nicht angesprochen, bin ja kein Auto, bis ich merkte, dass ich weit und breit der einzige Verkehrsteilnehmer auf der Straße war. Ich war zu schnell!

I see a culture so generally cool and herbivorous that the bicycle is king, schrieb Londons Bürgermeister kürzlich, nachdem er sich mit seiner Familie ein Billigticket nach Berlin gegönnt hatte. Ich finde, das ist nicht ganz richtig: In Berlin, the bicyclist is king. Und der Bürgermeister von London sollte nicht mit Easyjet fliegen. Sondern mit British Airways. Da klatschen die Leute auch nicht nach der Landung.

Es ist schön, in Berlin Fahrrad zu fahren, wenn man den richtigen Weg durch Mitte kennt. Wo im Sommer nicht Horden frisch geduschter Angestellter on bikes sportliches Fahren verhindern. Wo man nicht dauernd wegen roter Ampeln bremsen muss. Und wo man, das ist am wichtigsten, nicht ständig mit Autos um den Straßenraum konkurriert.

Es gibt genau einen Weg, um von Mitte nach Kreuzberg zu radeln, der diese Voraussetzungen erfüllt. Dummerweise ist er illegalisiert worden. Wer früher über die Monbijoubrücke hoppelte, dann die leichte Neigung Richtung Pergamon-Museum hinuntersauste, durfte dann in Gegenrichtung in die Einbahnstraße vor Angela Merkels Stadtwohnung einfahren: Für Fahrradfahrer erlaubt.

Von dieser sinnvollen Regelung zeugen nur noch weiße Markierungen mit Pfeil und Fahrradsymbol auf der Fahrbahn. Als auf der Brache an der Ecke gebaut wurde, ist das Schild mit der Ausnahmeregelung für Radler entfernt und nie wieder angebracht worden. Die Radler von Mitte aber berufen sich seitdem auf das Gewohnheitsrecht und fahren weiterhin auch von Nord nach Süd durchs Nadelöhr.

Eines Tages sah ich schon von weitem, dass es heute so weit sein würde. Vor Angela Merkels Haus parkte eine schwarze Limousine. Ich, der King, und meine Maschine beschleunigten leicht, vom Bode-Museum heruntersausend. Ein Mann in dunklem Anzug und Angela Merkel traten wenig später aus der Haustür und stiegen die Treppen zum Trottoir hinunter. Mein Bike und ich rollten in der gewohnten Reisegeschwindigkeit weiter, der Personenschützer und die Kanzlerin gingen um das Auto herum, was ich bereits genau beobachten konnte.

Und so sah ich auch, dass ich ebenfalls bemerkt, aber offensichtlich für ungefährlich befunden worden war, weil der Personenschützer denselben Fehler machte wie alle Nichtradler: Sie halten uns für langsamer, als wir sind. Und so berührten sich unsere Vektoren tangential, als der Personenschützer Angela Merkel eben die Tür des Wagens geöffnet hatte.

Die Kanzlerin war überrascht, dass ein König auf einem Fahrrad eine Armlänge entfernt an ihr vorbeisauste, als sie eben in den Wagen steigen wollte. Ich hatte mich Sekunden zuvor entschieden, nicht „Guten Morgen, Frau Bundeskanzlerin!“ zu sagen. Angela Merkel sah nicht so aus, als habe sie ein dringendes Bedürfnis nach Bürgerkontakt.

I see a paradise for cyclists, where the helmetless hordes weave and wobble over the wide and tree-lined roads, schrieb der Bürgermeister von London über Berlin. Der Mann kriegte sich gar nicht mehr ein vor lauter Begeisterung über das Berliner Idyll. The Germans schlagen nicht mehr die Hacken zusammen und brüllen nicht mehr Jawoll. Sie lassen sich tätowieren, drehen ihre Zigaretten selbst, entwickeln libidinöse Beziehungen zu ihren Rädern und lassen sich jetzt vom Verkehrsautomaten kommandieren.

Very strange indeed.