DER STIPENDIAT : Das Sexversprechen
Gestern fuhr ich – für meine Verhältnisse – unsinnig weit in den Westen. Ein Komponist aus fernen Landen hatte jenseits des S-Bahn-Rings Quartier bezogen. Seine Symphonien waren mir völlig unbekannt. Ein gemeinsamer Freund setzte uns – wie man so schön in der Betreffzeile einer E-Mail sagt – in Kontakt und seine Einladung zu „Ich verspreche dir Sex, Drogen und gutes Essen“ ließ nicht lange auf sich warten.
Der Stipendiat wohnte im vierten Stock einer Gründerzeitvilla mit Blick auf den Ringbahngraben, der die Berliner Vorstadt wie ein mittelalterlicher Wall vom Kerngebiet trennte. Früher war Charlottenburg, setzte ich fast entschuldigend an, der Nabel der Welt. Doch der Stipendiat winkte ab, Bruder, alles o. k. – ich suche hier keinen Rummel, sitze Tag für Tag vor dem Apfel und schreibe drei Kammerkonzerte simultan. Er kramte einen Stapel Blätter aus dem Regal, die unerwartet mit Klebstoffstreifen verbunden waren und ausgeschüttelt eine Partitur ergaben. Das ist der Bauplan meines nächsten Kontrabasskonzerts, sagte er. Ich entließ bewunderte Geräusche, er stopfte das Papier wieder ins Regal und hüpfte in die Küche.
Ich habe dir versprochen: Drogen, Sex und rockiges Essen? Ich mache dir jetzt einen Meeresfrüchterissotto. Das Wort „Sex“ hallte in meinem Kopf nach und ich war ganz froh, dass er gen Küche ging. So konnte ich mit seiner Gefährtin, die dekorativ auf dem Sofa saß, flirten.
Wo bleibst du, rief er aus der Küche. Ich komme, fühlte ich mich gezwungen zu antworten und griff nach meinem Glas Wein. Er mischte eine Packung Mixed Seafood unter den Milchreis. Er könne einhändig kochen, zwitscherte er. Und auch Kopfstand dabei machen. Und sein größtes Kunststück sei, fügte er an, einhändig im Kopfstand sich selbst in den Mund zu pinkeln. Ich war begeistert und verwarf jegliche Überlegung, sein Sex-Versprechen einlösen zu wollen. TIMO BERGER