DER RECHTE RAND : Geschichtspolitik im Kurort
„372 Männer, Jungen, 44 Frauen und Mädchen“, verkündet beim Aufrufen der Website eine Frauenstimme, seien „von den Briten gefoltert und ermordet“ worden. Und weil an diese Opfer „keine Gedenktafel“ erinnere, „liegt es an uns, die Geschichte aus dem Vergessen zu holen“.
Zum vierten Mal bereits planen rechtsextreme Kameradschaften an diesem Samstag einen „Trauermarsch“ im niedersächsischen Bad Nenndorf. Vor dem vermeintlichen ehemaligen „britischen Folterlager Wincklerbad“ will man aufmarschieren, seit Monaten wird mobilisiert: Neben den zitierten Audiodateien findet sich im Internet auch ein Videoclip. Derlei Mittel gehören längst zum Standardrepertoire, wann immer die braune Szene eine Aktion politisch einzubetten hofft. Der Kurort Bad Nenndorf, wo die britischen Besatzungsbehörden nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gefängnis unterhielten, gilt den Rechten als Aufhänger für ihre Erinnerungspolitik.
Seit längerem warnen Sozialforscher, dass das „öffentliche Geschichtsbild“ sich nicht immer mit den „privat tradierten Erzählungen“ decke: Großvater und Großmutter, sagt etwa der Sozialpsychologe Harald Welzer, fänden mit ihren Erinnerungen anders Gehör. Ein zentrales Element: Die Deutschen waren auch Opfer – von Krieg und Not, Vergewaltigung und Gefangenschaft.
In Bad Nenndorf selbst zeigte sich dieser geschichtspolitische Streit 2008: Da standen am Straßenrand auch Zuschauer, die den braunen Marsch „ganz in Ordnung fanden“. Sie interessierte es kaum, dass die britischen Behörden die Fälle von Misshandlung im „Wincklerbad“ nicht angeordnet hatten und nach Bekanntwerden rasch einschritten.
Seit Wochen werden Aktionen gegen den „Trauermarsch“ geplant (Infos: http://badnenndorf.blogsport.de/demo). „Uns ist es gelungen, mit Verwaltung, Vereinen und Initiativen schon jetzt atmosphärisch etwas zu bewegen“, sagt Sebastian Wertmüller vom DGB.
Hinweis:ANDREAS SPEIT arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland