DER NEUE MENSCH: Die genetische Landkarte des Menschen
Brauereihefepilze dienen als Modell für die Beeinflussung von menschlichem Krebs, und Mäusegene schützen Mastsauen vor Influenza- die Genforschung macht's möglich. Was als irrwitziges Gepansche von Erbanlagen erscheint, ist in Wirklichkeit Maßschneiderei vom Feinsten: Die Unzulänglichkeiten der Natur sollen ausgebügelt werden – nach des Menschen Maß, versteht sich. Natürlich kommt auch finanziell etwas dabei herum. Zehn bedeutsame Genexperimente, vorgestellt ■ VON JÜRGEN LANGENBACH
„Nunmehr können wir den Menschen definieren“, triumphierte Joshua Lederberg 1962 auf einem legendären Genetikertreffen, „zumindest genotypisch besteht er aus einer sechs Fuß langen Molekülfolge im Kern jeder Zelle.“ Man möge sich nun, ließ Lederbergs Kollege Haldane die Nutzanwendung folgen, an die Züchtung eines „strahlungsresistenten Typen“ machen oder, zur Hebung der Raumfahrttauglichkeit, in die Piloten „Affenarten mit Greifschwänzen“ einkreuzen. Heute ist es soweit, nicht mit dem bombenfesten Affenmenschen, aber mit dem Projekt der vollständigen Entzifferung jener sechs Fuß Erbinformation (Genom genannt) mit ihren geschätzten drei Milliarden Informationseinheiten.
„Haldane war eine andere Generation, die in der Tradition der Rassenhygiene aufgewachsen ist“, beruhigt Lennart Philipson, „so wie er denkt niemand von uns mehr.“ Philipson vertritt das „Europäische Molekularbiologische Labor“ von HUGO, dem Koordinationsgremium des „Human Genom Projects“, das 1988 in den USA mit der Erstellung der genetischen Landkarte begonnen hat und bis 2005 damit fertig sein will. Neben dem Atlas des Menschen im allgemeinen geht es diesmal um Diagnose und Therapie individueller Krankheiten oder Dispositionen dazu, von klassischen Erbkrankheiten (Diabetes, Herzkranzgefäßerkrankungen etc.) über die Zivilisationskrankheiten bis hin zu Mißstimmungen der Psyche.
In zwanzig Jahren werde jedermann im nächstgelegenen Supermarkt sein Erbgut analysieren lassen können, verspricht HUGO-Mitinitiator Walter Gilbert, zu Hause kann man dann sein Erbgut auf Defekte durchsehen – auf die Disposition zum Herzinfarkt etwa oder zu Depression – und seine Lebensweise darauf einstellen oder das Übel gleich an der genetischen Wurzel kurieren.
„Damit wird Gesundheit und Krankheit auf Molekularbiologie reduziert“, lautet die Diagnose des deutschen Biologen Rainer Hohlfeld, „und das Einfallstor zu einer neuen Eugenik geöffnet, in der Lebenschancen nach genetischen Kriterien vergeben werden.“ Sei es durch Gentests beim Eintritt ins Berufsleben, sei es mit Hilfe pränataler Diagnostik, beim Eintritt ins Leben überhaupt: „Kein Elternpaar wird in jener Zukunft das Recht haben“, zitiert Hohlfeld den US-Genetiker Bentley Glas, „die Gesellschaft mit einem mißgebildeten Kind zu belasten.“
„Beim historischen Erbe in Deutschland ist es schwierig, diese Dinge objektiv zu diskutieren“, sagt Genomforscher Philipson bedauernd, dem beim „Landkartenprojekt“ HUGO mehr an der Grundlagenforschung gelegen ist, an der „gemeinsamen Struktur allen Lebens: So wie Darwin gezeigt hat, daß der Affe unser Vetter ist, wollen wir zeigen, daß auch die Hefe unser Vetter ist.“ Was die Anwendung angeht, so teilt Philipson die Sorge um den Mißbrauch individueller Genomanalysen, hält sie aber für demokratisch entschärfbar. Seiner persönlichen Meinung nach muß die Verfügung über solches Wissen jedem einzelnen überlassen werden. Oder anders gesagt: The Genom is your personal right. Philipson zufolge soll die Gesellschaft entsprechende Grundrechte erarbeiten, denn die fünfzehn Jahre bis zum fertigen „menschlichen Atlas“ seien keine allzulange Zeit mehr.
Noch fünf oder zehn Jahre bis zum Milliarden-Coup des Jahrhunderts: dem Aids-Impfstoff
Seit 1972 ist die Technik (“DNA-Rekombination“) etabliert, mittels derer man Stücke aus einer Erbinformation herausschneiden und sie in eine andere hineinsetzen kann. Quer über alle Grenzen hinweg: vom Menschen etwa in Mäuse, Bakterien und neuerdings gar Tabakpflanzen oder auch von der kälteunempfindlichen Winterflunder auf Tomaten, auf daß sie ebenfalls der Kälte trotzen. 1982 war dann alles da: das erste transgene Tier, die Riesenmaus, die erste transgene Pflanze, das erste gentechnisch erzeugte Medikament, Insulin. Inzwischen hat die Pharmazeutik viele Spezialitäten auf einen Markt gebracht, der nach OECD-Schätzungen für 1995 4,5 Milliarden Dollar verspricht und den Wert eines etwaigen Aids-Impfstoffs auf „nicht abschätzbar“ veranschlagt.
„Bei Aids ist uns der herkömmliche Entwicklungsweg, bei dem man Viren züchtet, abtötet und dann als Impfstoff verwendet, zu riskant“, führt Eugen Ruffingshofer in die gewundene Aids-Strategie eines der führenden Impfstoffentwickler ein, der Wiener „Immuno“. Dort isoliert man aus dem Aids-Gen jenen Teil, der die Produktion eines Proteins (gp 160) steuert, mit dem das Virus an gesunde Zellen andockt. Dieses Aids-Genpartikel wird dann in ein Kuhpockenvirus eingebaut, das sich seinerseits auf einer Affennierenzellkultur vermehrt. Am Ende bekommt man ein gp 160, das keine Aids-Erbinformation mehr trägt, wohl aber die Form des Andockstücks hat, auf die sich bei einer Impfung die körpereigene Abwehr einstellen könnte. Nach umstrittenen, aber erfolgreichen Schimpansenversuchen „läuft seit einem Jahr die klinische Erprobung in den USA“. Den weiteren Weg kann Ruffingshofer nur aus Analogien mit früheren schwierigen Impfstoffen auf „fünf bis zehn Jahre“ schätzen.
In ähnlichen Größenordnungen denkt man auf dem zweiten großen Hoffnungsgebiet, der Krebsforschung. Wieder in Wien, am „Institut für Molekulare Pathologie“ (IMP), will man Strategien gegen die außer Kontrolle geratenen Zellwachstums- und Zellteilungsprozesse namens „Krebs“ dadurch gewinnen, daß man zunächst einmal die funktionierende Kontrolle studiert, am Brauereihefepilz beispielsweise. Kim Nasmyth ist dessen näherer Verwandtschaft auf der Spur, „einem Stoff (Kinase), der in allen Zellen die Teilung mitsteuert, bei der Hefe, beim Frosch und beim Menschen“. Produziert eine Zelle zuviel davon, bekommt sie Krebs, man müßte zur Therapie also die Funktionsweise der Gene kennen, die die Produktion der Kinase steuern. Dann könnte man irgendwann entweder eine medikamentöse Behandlung finden oder die außer Kontrolle geratenen Gene selbst reparieren. „Man kann nicht sagen, in zehn Jahren hätte man ein Medikament, aber man kann auch nicht sagen, wir hätten dann keines“, wägt IMP-Institutsleiter Max Birnstiel die Chancen ab.
Aber das Wie ist nicht nur technisch eine heikle Frage: Gentherapie kennt grundsätzlich zwei Wege, einmal die somatische Therapie, bei der fehlfunktionierende Gene an Ort und Stelle repariert werden. Erste Versuche am Menschen laufen in den USA, die somatische Therapie gibt es also. Die zweite Variante, die Keimbahntherapie (germ line), soll es nach dem Willen aller Beteiligten hingegen nie geben, weil dabei Fremdinformation in eine Zelle nicht nur hineingebracht, sondern dort auch vererbbar wird, eine Technik also, die „das Tor zu einer Konstruktion des ,Menschen nach Maß' aufstößt“ (Gentechnik- Enquete des deutschen Bundestags).
Das Problem liegt nun darin, daß man zur Erforschung der Grundlagen somatischer Therapien Keimbahnmanipulationen vornimmt, beispielsweise Mäuse nach Maß baut, und dabei Know-how gewinnt, das grundsätzlich auch am Menschen anwendbar ist. „An den Menschen wird sicher niemand herangehen“, glaubt Wagner vom IMP, der für die Entwicklung besonders eleganter Mäusekeimbahn-Techniken von den europäischen Molekularbiologen mit ihrem EMBO-Preis geehrt wurde, „aber wenn Sie so fragen: Sind solche Methoden die Vorreiter, um irgendwann einmal gezielt an der menschlichen Keimbahn einzugreifen? Dann muß man das mit ,Ja.' beantworten.“ Wagner persönlich würde nicht am Menschen hantieren und vertraut bei anderen auf die Selbstkontrolle der scientific community sowie auf den noch geringen Kenntnisstand, konzediert aber, daß „wir nicht wissen, was die Zukunft bringt“.
Zunächst wird sie auf dem Feld der Agroindustrie vordem Ungesehenes wachsen lassen. Jan Leemans vom belgischen Spezialisten „Plant Genetic Systems“ erwartet einen „exponentiellen Anstieg“ der bislang 212 Freisetzungsversuche von gentechnisch nachgebesserten Nutzpflanzen weltweit. 1995 soll die erste herbizidresistente Pflanze auf dem 20-Milliarden-Dollar-Herbizidmarkt sein – ihr ist das Gegengift gegen das Pflanzenvertilgungsgift eingebaut. Feinheiten, wie Pflanzen mit eingebauten Insektiziden, werden folgen, und dann kommt der große Umbau der Früchte selbst: „Es wird spezielle Futtergetreide für Schweine und Rinder geben und Getreide zum Süßen von Coca-Cola. Alles nach der Jahrtausendwende.“
Aber auch das neue Futter wird die Tiere nicht in den Himmel wachsen lassen. „Es gibt kein transgenes Riesenschwein“, dementiert Gottfried Brem vom Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht in München, aller Transfer von menschlichem Wachstumsgen auf das Schwein hat nichts gebracht als „massive gesundheitliche Probleme der Sauen“. Aber nicht des Mißerfolgs, sondern des deutschen Gengesetzes wegen, das ihm die Arbeit erschwert, hat Brem eigenhändig seine Versuchsschweineherden abgestochen. Jetzt experimentiert er in kleinerem Maßstab an Krankheitsresistenzen, etwa der Übertragung des Mäusegens MX auf das Schwein, ein Gen, das gegen Influenza hilft.
Colibakterien produzieren Euterhormone für die Milchseen der Zukunft
Geforscht wird quer durch das Tierreich. Das oft angekündigte Schaf, das auf Schwermetallzugabe im Futter hin sein Fell von alleine abwirft, ist noch nicht ausgereift, fertig hingegen der schwermetallresistente Fisch, er ist nur noch nicht ausgesetzt in die kontaminierten Küstengewässer, für die er konstruiert ist. Schwierigkeiten macht wiederum das Rind, bei dem der Gentransfer schlecht oder sogar überhaupt nicht gelingt. Und auch wenn er gelänge, „wenn es das gesuchte Antistreßgen gäbe, würde das nur zu noch ärgeren Tierhaltungs- und Transportbedingungen führen“, sagt Anita Idel von den „Kritischen Tierärzten“. Sie fürchtet die Findigkeit der Gentechniker, auch bei einem anderen Gen: „Weil es bei der Kuh mit dem Einbau des Wachstumsgens nicht klappt, macht man jetzt das BST.“ BST, bovines Somatotropin, ist das erste bekannte großtechnisch erzeugte Gentechnikprodukt. Diesmal setzt man Rinderwachstumsgene in Colibakterien ein und läßt sie das Rinderwachstumshormon (BST) bauen, das dann Kühen injiziert wird – zur Steigerung der Milchleistung.
Etwa vierzig Prozent aller Lebensmittel werden seit alters mit Biotechnologien hergestellt, vom Brot bis zum Yoghurt, vom Käse bis zum Bier. Überall arbeiten Mikroorganismen mit, überall wird nun an ihrer Optimierung gearbeitet. Eine gentechnisch verbesserte Bäckerhefe, die den Teig rascher gehen macht, ist in manchen Ländern schon zugelassen, ebenso gentechnisch produziertes Chymosin, ein Bestandteil des Lab-Ferments aus dem Kälbermagen, das bislang beim Käsereifen hilft. Sogar Bier mit manipulierter Hefe wurde schon gebraut, in der damaligen DDR.“ Na denn: Prost, Vetter!
Jürgen Langenbach hat in Freiburg und Wien Philosophie und Sozialwissenschaften studiert. Er lebt als Wissenschaftsjournalist in Wien.
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