DER MOMENT, IN DEM DAS IPHONE WEG WAR : Irgendwie sieht man immer connected und busy aus
ANJA MAIER
Es war kalt, und ich war eine halbe Stunde zu früh dran. Also setzte ich mich vor meinem Arzttermin in eine dieser superhippen Kaffeebrauereien von Berlin-Mitte. So Sachen wie Espresso oder Cappucchino gab’s hier nicht, ich orderte deshalb einen Galão. Den kannte ich aus meinem Portugalurlaub vor zehn Jahren. Der bärtige Kaffeebrauer nahm streng blickend mein Geld an, dann trollte ich mich in die Ecke, wo ich erst unschlüssig in dicken Designzeitschriften blätterte und schließlich unschlüssig auf meinem Handy rumtippte. Am Nebentisch tauschte ein Hebräisch sprechendes Paar Zärtlichkeiten und Brownie-Häppchen aus.
Ich brach auf, um mich in der nahen Arztpraxis zu meinem Termin einzufinden. Die Arzthelferin war sehr freundlich, ich hängte meinen Mantel auf und griff in meine Tasche nach meinem Handy. Ein Reflex; das iPhone ist so schmiegsam und schlank, und irgendwie sieht man immer connected und busy aus, selbst wenn man nur alte WhatsApp-Nachrichten liest.
Aber das Handy war nicht in meiner Tasche. Und es war auch nicht in meiner Hosentasche. Auch nicht in meiner Manteltasche. Es musste – ich hatte kein inneres Bild, aber so musste es sein – es musste in der Kaffeebrauerei irgendwo zwischen Browniekrümeln und zerlesenen AD-Ausgaben liegen.
Schwer zu beschreiben, wie groß die Panik war, die mich in diesem Moment packte. Ich rief der Sprechstundenhilfe stichwortartig zu, was los war, und fegte zurück durchs beschauliche Mitte-Viertel, schrammte knapp ein Lastenrad und stolperte über die schleifende Leine, die einen Mopswelpen mit dessen Besitzer verband.
Das teure Telefon! Die ganzen Kontakte! Der Riesenärger!
Im Café angekommen, trug ich in winselndem Ton meine Not vor. „Mein iPhone! Hier? Bitte!?“ Der Barista schwieg. Er strich sich über seinen gepflegten Vollbart und schaute streng. Ich spürte: Er hat mein Telefon, aber er will mich noch ein bisschen erziehen. Was das denn für ein Telefon sei, fragte er mich. Marke, Hülle, Farbe, hm? Als hätte ich mein ganzes Leben auf diesen Konsumententest vorbereitet, ratterte ich alle Merkmale herunter.
Zugleich erinnerte ich mich an meine Kindheit. An all die vergessenen Turnbeutel und das verlorene Milchgeld. Den neuen Pullover und die sauteure Pelzmütze meiner Mutter, als ich an einem Wintertag einen Zarewna-Anfall hatte. Immer, wirklich immer hatte mich die große Not gepackt. So wie jetzt wieder.
Dienstag Deniz Yücel Besser
Mittwoch Martin Reichert Erwachsen
Donnerstag Sonja Vogel German Angst
Freitag Jürn Kruse Fernsehen
MontagMaik SöhlerDarum
Als ich anhob, dem Barista meine iPhone-PIN entgegenzuschmettern, erbarmte er sich. Er fischte das Gerät aus einer Schublade und überreichte es mir mit gnädigem Lächeln. Ich dankte ihm und allen Umstehenden laut und unterwürfig.
Als ich wieder auf meinem Stuhl im Wartezimmer saß, dachte ich: Ist doch bloß ein Telefon. Oder? Nein, ist offenbar mehr. Mein teurer, kleiner Mobilcomputer ist dieses iPhone. Statussymbol und Sammelort sämtlicher Informationen. Handschmeichler. Aber offensichtlich auch ein Ding, das mir richtig Angst machen kann. Normal ist das nicht. Ich glaub, ich brauch ’ne Diät.