DER MÄNNLICHE BLICK : Kerle im Café, alles Experten
VON JAN FEDDERSEN
So mischt sich die Sonnenallee auf das Verwirrendste. Im Zweifelsfall hängt von jedem Balkon eine Flagge in deutscher Farbenanordnung, Kinder tröten auf schwarz-rot-goldenen Vuvuzelas, was im allgemeinen Lärm zum Feierabend nur noch einen dumpfen Aspekt hinzufügt. Die Cafés sind gut besucht, vor allem die Freiluftsitzplätze. Mann sitzt und qualmt Shisha, Frau flaniert und sortiert, so sie einen Kinderwagen schiebt, die deutsche Wimpelkette, an der sehr niedlich ein Schnuller hängt.
Was sich aber in den Caféhäusern abspielt, kommt der Idee des Stammtisches gleich. Manche schwören auf Khedira, andere auf Schweinsteiger; sagen die einen, der Stuttgarter hätte Hertha vor der Bedeutungslosigkeit gerettet, beteuern die anderen, dass Özil mal tüchtig futtern solle, schmächtig, wie er sei. Typisch Araber!, ruft dann ein Türke, den Türken schlechtmachen!
Heißen die Lokalitäten „Um Khartoum“ oder der Frisörladen „Goldene Schere“, die neue Sehenswürdigkeit in Neukölln ist nicht mehr das klobige Rathaus und sein Bürgermeister Heinz Buschkowsky, sondern der Elektroladen an der Bushaltestelle Pannierstraße, über deren Schaufenster in alle Höhe des Gründerzeitbaus sich ebendiese Flagge erstreckt, die Autonome so irre macht – wo soll der Antirassismus bloß noch enden?
Jedenfalls: Die Flagge ist inzwischen gesicherter als die Scheine in den Portemonnaies, die in der „Kleinen Apotheke“, Spielhöllenkneipe postjugoslawischer und albanischer Männer, so gewechselt werden. Sie soll hängen bleiben, diese Attraktion – die Passanten der Straße murmeln es sich entgegen.