DER MÄNNLICHE ALKOHOLIKER IST ZWAR EINE TRAGISCHE FIGUR, ABER AUCH EIN COWBOY. TRINKENDE FRAUEN SIND EINFACH NUR ASOZIAL, DENN FRAUEN HABEN GESUND ZU SEIN : Saufen passt zum Kapitalismus
KATRIN SEDDIG
Am Montag begann in Hamburg die Aktionswoche Alkohol 2015. Das Motto lautet: „Alkohol, weniger ist besser.“ Das Motto finde ich gar nicht so schlecht. Jedenfalls besser, als wenn es heißen würde: „Alkohol, lass es sein!“ Oder auch: „Alkohol, trink das nie!“ Die diesjährige Aktionswoche Alkohol will sich da toleranter geben. So sagt das Motto indirekt auch: „Alkohol, ein bisschen ist okay.“ Obwohl natürlich schon ein bisschen Alkohol in der frühen Jugend zu meist sehr viel Alkohol in der immer noch frühen Jugend führt.
Das Problem mit ein bisschen Alkohol ist, dass bereits der Genuss von ein bisschen Alkohol die vernünftige Einstellung zu einem gemäßigten Alkoholkonsum beeinflussen kann. Wenn man nach dem zweiten Glas plötzlich seine guten Vorsätze über Bord wirft. Aber was soll ich sagen? Ich bin ja für Alkohol. Ich kann mich mit „gar kein Alkohol“ nicht anfreunden. Aber ich sehe das Problem und auch in mir selbst.
Es wird allgemein zu viel gesoffen, in allen Gesellschaftsschichten und in allen Altersgruppen. Und das Problem liegt nicht darin, dass Alkohol zu haben ist. Und es würde auch nicht dadurch gelöst, dass es zum Beispiel nach 18 Uhr nicht mehr zu haben wäre, wie Cornelia Mertens von der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen vorschlägt.
Einer der Schwerpunkte der Aktionswoche sind in diesem Jahr übrigens die trinkenden Frauen – „Frauen und Sucht“. Frauen trinken auch Alkohol. Frauen, die so viel trinken, dass sie es nicht mehr im Griff haben, die also Alkoholikerinnen sind, werden härter verurteilt als Männer. Der männliche Alkoholiker wird oftmals in Literatur, Kunst, Theater, Film als tragische Figur dargestellt, die dennoch eine Art Würde besitzt. Oder deren Trinken man jedenfalls verstehen kann, weil sie das Leiden am Leben nicht anders erträgt.
Trinken gehört zum Mann, das macht ihn oftmals erst aus, so wird das beim Grillen und in Fußballrunden gesehen. Das Fußballgucken an sich ist ohne Bier in der Hand gar nicht erlaubt. Der männliche Alkoholiker ist dann zwar eine tragische Figur, aber auch eine Art Cowboy oder Indianer, der sich tapfer trinkend durch das Leben schlägt.
Die Frau als Alkoholikerin dagegen ist einfach asozial. Frauen sollen Kinder kriegen und müssen schon deshalb gesund sein. Große weibliche Alkoholikerinnen in der Kunst oder in der Literatur fallen mir spontan wirklich nicht ein.
Dennoch trinken Frauen, auch wenn sie sich, anders als der Mann, kein gutes Ansehen damit erwerben können. „Es gibt ja nichts Schlimmeres, als besoffene Weiber“, habe ich gehört. Schon ganz oft habe ich das gehört. Ich möchte an dieser Stelle mal erwidern, doch, das gibt es. Betrunkene Männer. Die haben ein anderes Aggressionspotenzial als betrunkene Frauen.
Aber wie auch immer, das Sichbetrinken kann wohl manchmal als Statement gegen Gesundheitswahn und Selbstoptimierungsdrang gelten, aber das ständige Sichbetrinken, wie das samstäglich in Hamburg St. Pauli oder auch auf jedem beliebigen Schützenfest, der Kirmes, der Dorfdisco stattfindet, ist entpolitisiert, es ist eine Mainstream-Bewegung, die durch die Gesellschaft legitimiert und gefördert wird. Der kapitalistische Staat steht zwar nicht für den Exzess, aber ich behaupte, ihm passt eine gleichmäßige Alkoholisierung der samstäglich euphorisierten Masse, die am Montagmorgen bußfertig zur Arbeit erscheint.
Ich persönlich schwanke, zwischen pro Reglementierung, wie in Schweden zum Beispiel, wo immerhin insgesamt weniger getrunken, der Exzess aber heimlich gepflegt, und schon immer schwarz gebrannt und heimlich importiert wurde und der Ansicht, dass sich in den Umständen, in denen wir leben, der Alkohol nicht ohne den allgemeinen Aufstand wird abschaffen lassen.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.