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Archiv-Artikel

DER LIBYSCHE GESINNUNGSWANDEL HAT NICHTS MIT DEM IRAKKRIEG ZU TUN Gaddafi ohne Angst

Der britische Premierminister Tony Blair will seinen Kritikern weismachen, Oberst Gaddafis Wandlung vom Schurken zum Staatsmann mit westlichen Werten sei dem Krieg gegen den Irak geschuldet. Er habe es mit der Angst zu tun bekommen und zu Kriegsbeginn im März geschwind seine Unterhändler nach London entsandt. Nun habe das katastrophale Jahr für den Premierminister noch ein gutes Ende genommen, finden Blairs Anhänger: Saddam gefangen, Gaddafi bekehrt.

Es bedarf einer verschrobenen Logik, die freiwillige Ausmusterung der Massenvernichtungswaffen eines Landes, das man nicht angegriffen hat, als Rechtfertigung für den Angriff auf ein Land zu benutzen, das gar keine Massenvernichtungswaffen besaß. Hätten die Inspektoren ein paar Cruise Missiles im irakischen Wüstensand gefunden, wäre Blairs angeschlagene Glaubwürdigkeit zumindest teilweise repariert. Gaddafis Gesinnungswandel trägt dazu nichts bei.

Die Wandlung hat eine Vorgeschichte, die lange vor den Anschlägen auf das World Trade Center beginnt. Gaddafi hat vor sechs Jahren seine Verbindungen zur Irisch-Republikanischen Armee (IRA) abgebrochen und den britischen Geheimdiensten eine Liste der Waffen überreicht, die er nach Nordirland geliefert hatte. Er zahlte später eine Entschädigung für den Tod der Polizistin Yvonne Fletcher, die in London durch einen Schuss aus der libyschen Botschaft getötet worden war. Dann stimmte er dem Lockerbie-Prozess zu und bot den Familien der Opfer, die gestern vor 15 Jahren bei dem Flugzeugattentat über der schottischen Stadt Lockerbie ums Leben kamen, Entschädigungsgeld an. Und nun will er abrüsten.

Worin der Zusammenhang mit dem „Krieg gegen den Terror“ besteht, weiß allein der wegen seiner Irakpolitik unter Druck stehende Blair. Dass die Länder im Nahen Osten Gaddafis Beispiel folgen werden, ist ein Wunschtraum. Solange Blair und US-Präsident Bush das israelische Arsenal an Massenvernichtungswaffen ignorieren, bleibt die Region ein Pulverfass. Libyens Abrüstungsangebot mag zwar historisch sein, aber es steht in keinem Kontext, auch wenn Blair und Bush das gern so hinbiegen wollen. RALF SOTSCHECK