DER GERICHTSERFOLG SCHADET DER EU-KOMMISSION MEHR ALS ER NÜTZT : Geschäftsordnung durchgesetzt
Nun ist es also amtlich: Die EU-Finanzminister haben sich über das Recht hinweggesetzt, als sie im November die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich einfach aussetzten. Der Erfolg der EU-Kommission gegen die zuweilen selbstherrlichen Minister und Premiers der EU-Staaten sei ihr gegönnt. Wenn so offensichtlich gegen geltende Verfahrensregeln verstoßen wird, muss die Kommission einfach einmal eine Grenze setzen.
Fragt sich nur, ob dies der richtige Anlass war. Denn in der Sache war das Vorgehen der Kommission wenig glücklich. Siegen konnte die Kommission nur formal, nicht aber inhaltlich. Zwar dürfen sich die Finanzminister nicht auf diese Weise über eine Kommissionsempfehlung hinwegsetzen, auf andere Weise aber schon. Und das machten nun auch die Richter des Europäischen Gerichtshofs klar: Hätten die Finanzminister dem Kommissionsvorschlag einfach nicht zugestimmt, anstatt ihn explizit „auszusetzen“, hätte alles seine Ordnung gehabt.
Das aber weiß jeder Kommunalpolitiker: Wenn es politisch im Endeffekt ohnehin nichts ändert, macht es keinen Sinn, auf der Einhaltung der Geschäftsordnung zu beharren. Durch seinen Widerstand gegen die Entscheidung der Finanzminister in der November-Sitzung hat der seinerzeit amtierende Währungskommissar Pedro Solbes nun genau das Gegenteil erreicht von dem, was er wollte: Er hat die Aufmerksamkeit aller Welt auf den – bis dahin wenig bekannten – Fakt gelenkt, dass die EU-Kommission nur wenig Möglichkeiten hat, den Stabilitätspakt wirklich durchzusetzen. Das wird aber zukünftigen Mahnungen der Kommission kräftig an öffentlicher Wirkung nehmen und wiegt umso schwerer, als Wirtschaftspolitik immer auch auf Psychologie beruht.
Nein, für die Anhänger des Stabilitätspakts ist das kein guter Tag. Für alle anderen ist es beruhigend, das die Auslegung einer für die Volkswirtschaften so einschneidenden Richtlinie nicht Gegenstand formaler Auseinandersetzung ist, sondern weiterhin politischer Abwägung zugänglich. Das Sparen um des Prinzips willen hat zumindest der deutschen Volkswirtschaft in den letzten zwei Jahren schon genug geschadet. MATTHIAS URBACH