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Archiv-Artikel

DER FOTOGRAF CIARÁN FAHEY IST FASZINIERT VON ORTEN, DIE DER MENSCH ZURÜCKGELASSEN HAT Wo Tankstellen, Heilstätten und SS-Bäckereien vor sich hin rotten

Berlin auf Blättern

JÖRG SUNDERMEIER

Wir kennen sie alle, die verwaisten Orte in Berlin, die Ruinen, die abgelegen in Wäldern stehen, die leer stehenden Gebäude mitten in der Stadt, die vernagelten Türen und die blinden Fenster. Und wir alle kennen die Sehnsucht, dort vielleicht doch einmal hineinzugehen. Wir projizieren viel in diese Gebäude hinein, sehen vor unserem inneren Auge Gespenster oder Aktenberge oder Schatzkisten oder Jugendliche, die Technopartys feiern. Wie viele Bücher wurden aus dieser Sehnsucht heraus geschrieben, wie viele Filme gedreht?

Auch Ciarán Fahey ist von dieser Sehnsucht getrieben. Der gebürtige Ire, der seit 2008 in Berlin lebt und als Fotograf für eine Presseagentur arbeitet, ist geradezu besessen von den Orten, die Menschen zurückgelassen haben, die der Natur überlassen wurden oder aber vor der Sanierung noch ein bisschen für sich selbst sein dürfen. Fahey schert sich dabei nicht um Eigentumsrechte und Verbotsschilder, im Gegenteil, auf seiner Website abandonedberlin.com, auf der er seit Jahren seine Fotos veröffentlicht, ist sein vernünftiges Motto zu lesen: „If it’s verboten, it’s got to be fun“.

Nun versammelt das Buch „Verbotene Orte / Abandoned Berlin“ seine besten Fotos, die er mit einem ausführlichen, stets etwas rotzigen Kommentar versehen hat. Selbstverständlich hat er Fotos im Spreepark, auf dem Teufelsberg und in der geplünderten irakischen Botschaft geschossen, auch hat er in Brandenburg Honeckers Bunker abgelichtet und auf dem Gelände der Kaserne in Wünsdorf-Waldstadt nach Motiven gesucht.

Doch diese Motive sind für Berlinerinnen und Berliner ja ähnlich interessant wie die Tacheles-Ruine, das wäre also nicht unbedingt der Rede wert. Interessanter ist da, dass er auch die vor sich hin verrottende Siemensbahn zwischen Charlottenburg und Spandau abspaziert ist oder die Heilstätte Grabowsee in Oranienburg aufgesucht hat – auch dies verwunschene Orte, die schon beinahe wieder von der Natur erobert worden sind. Bei der Heilstätte allerdings ändert sich das nun, dieses Baudenkmal wird zurzeit wieder aus seinem Dornröschenschlaf gerissen.

Fahey war auch im Wernerbad in Hellersdorf, in der Bärenquell-Brauerei in Treptow und der SS-Bäckerei in Oranienburg, er findet eine verlassene Tankstelle in einem Kreuzberger Hinterhof, die die Jahre überdauert hat, ohne geplündert zu werden, und bewegt sich auf vielen Gelände, die bis Anfang der Neunzigerjahre von der Sowjetarmee genutzt wurden und nun noch keine neuen Besitzer gefunden haben.

Immer wieder sieht man, dass andere vor ihm da waren; das Anatomische Institut in Dahlem und die Eisfabrik in Mitte sind Orte für Partys gewesen, andere haben Materialien gesucht und mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war.

Die Bilder ähneln sich, doch sie sind nicht dieselben, in die Bildserien frisst sich plötzlich, gewissermaßen von hinten, Geschichte hinein. Man erfährt viel über die Historie dieser Gegend, das 20. Jahrhundert scheint noch einmal auf, sieht aber recht blass aus angesichts der blühenden Bäume und wild wuchernden Hecken, die sich hinter den oft bereits entglasten Fenstern auftun.

Warum faszinieren diese Bilder so sehr? Veranschaulichen sie den Leserinnen und Lesern ihre Vergänglichkeit? Zeigen sie uns, dass nichts bleiben wird von dem, was wir schaffen, wenn wir nicht mehr sind? Oder demonstrieren sie, dass es weitergeht, immer weiter, egal wie die Nazis mordeten oder die Botschafter hässliche Dinge verhandelten, egal ob geheilt wurde oder getanzt, ob für den Frieden gearbeitet wurde oder für den Krieg?

Sind diese Bilder, obschon sie zerstörte Bauten zeigen, etwa Bilder der Hoffnung?

■ Ciarán Fahey: „Verbotene Orte / Abandoned Berlin“. Bebra Verlag, Berlin 2015, 192 Seiten, 22 Euro

■ Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher-Verlags