DER FLEISCHFABRIKANT VON SCHALKE 04 SCHWITZT BLUT UND WASSER : Diplomatischer Eiertanz
HG. BUTZKO
Von Mao Tse-tung stammt der Satz: „Krieg ist Politik mit Blutvergießen, und Politik ist Krieg ohne Blutvergießen.“ Und Dieter Hildebrandt sagte mal: „Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.“ Wendet man aus der Mathematik den klassischen Dreisatz an, was kommt dabei raus? Die Wahrheit: „Politik ist der Spielraum zwischen Wirtschaft und Blutvergießen.“ Und wer kennt sich allein schon von Berufs wegen sowohl mit Wirtschaft als auch mit Blutvergießen bestens aus? Richtig, der Metzger.
Wer jemals live dabei war, wenn ein Tier getötet wird, weiß, da darf man nicht zimperlich sein. In eine Wurst beißen und eine Wurst machen, sind die zwei Enden einer Wurst, die bekanntlich nur die Wurst hat. Und wenn man in Deutschland in eine Wurst beißt, ist die Chance groß, dass es sich um eine Wurst handelt, die im Hause Uli Hoeneß oder Clemens Tönnies gemacht wurde. Was das über Skrupel und Empathie der Erzeuger aussagt, mögen die beiden am besten mit Veganern diskutieren.
Uli Hoeneß und Clemens Tönnies, zwei Fleischfabrikanten, die also beide nicht nur massenhaft eine Schweinekohle unter anderem damit verdienen, massenweise Schweine zu verwursten, beide sind auch Überväter eines Fußballvereins, der eine mit Wohnsitz in Landsberg am Lech, der andere in Rheda-Wiedenbrück. Man weiß nicht, was schlimmer ist.
Und während Uli Hoeneß in diesen Tagen (verdientermaßen) von der Öffentlichkeit geschlachtet und (zu Recht) genüsslich gegrillt wird, werden bei Schalke die Messer wegen der Beziehung zu Gazprom gewetzt. Uli Hoeneß muss bluten, weil sich die Frage stellt, warum, wie oft, wie sehr, wie hoch und wozu er eigentlich gegen das Steuerrecht verstoßen hat, während Clemens Tönnies Blut und Wasser schwitzen muss, wenn man ihm die Frage stellt, ob er der Meinung sei, dass auf der Krim eigentlich gegen das Völkerrecht verstoßen wird.
Nicht dass wir uns falsch verstehen: Ich bin durchaus der Meinung, dass man sowohl mit veganer als auch mit fleischhaltiger Ernährung leben darf, wie ich auch der Meinung bin, dass man den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ebenfalls differenziert betrachten sollte und mit Schwarz-Weiß-Denken nicht weiterkommt. Eine Haltung, die in der deutschen Politik, Sport- und Showbranche anscheinend aber nicht weit verbreitet ist. Denn während fast niemand unserer Vorzeigevorbilder zögert, dem Rechtsbrecher Hoeneß Respekt zu zollen, verhält sich dieselbe Promipenetranz zum Rechtsbrecher Putin diametral entgegengesetzt.
Außer Clemens Tönnies. Und genau das ist es aber, was ich außerordentlich amüsant finde. Ein deutscher Unternehmer, eingebettet in den deutschen Wertekanon von Compliance, Contenance und Commerz, der es sich natürlich nicht mit seinen Geschäftspartnern in Deutschland verscherzen möchte, muss Stellung beziehen, wie er es mit seinen Geschäftspartnern in Russland hält, mit denen er es sich aber auch nicht verscherzen möchte. Mit anderen Worten: Ein deutscher Schlächter, der es sich grade nicht leisten dürfte, aus der deutschen Schlachtordnung auszubrechen, müsste schlechterdings einen Freund zum Feind erklären, um sich seine Freunde nicht zum Feind zu machen. Hei, und was ist das ein Spaß, diesem diplomatisch-sprachlichen Eiertanz lauschen zu dürfen, vor allem dem immer wieder gern verwendeten Klassiker: „Sport hat mit Politik nichts zu tun.“ Ja nee, is klar!
Wir sehen: Der Spielraum zwischen Wirtschaft und Blutvergießen wird so schnell zum Strafraum, dass der Strafstoß unumgänglich bleibt. Und wo der hinfliegt, hat uns Uli Hoeneß 1976 in Belgrad gezeigt: In genau den Himmel, von dem aus die Nato 1999 das Völkerrecht beschützen wollte. Wenn Mao Tse-tung das noch erleben könnte. Oder Dieter Hildebrandt.
■ HG. Butzko ist Kabarettist, Kleinkunstpreisträger und im Nebenberuf fußballbekloppt