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Archiv-Artikel

DER BRANDANSCHLAG IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN ESCHEBURG ERZÄHLT UNS AUCH ETWAS ÜBER DIE MENSCHEN AUF DEM LANDE. BESONDERS, WENN WIR SELBST MAL WELCHE WAREN Die Welt interessiert sich nicht für dich

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Wir werden euch jagen, wir werden euch kriegen, wir werden euch verurteilen. Ihr macht uns keine Angst“, versprach Torsten Albig, SPD-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, den Brandstiftern einer Asylbewerberunterkunft in Escheburg. Das sind, meine ich, erst mal die richtigen Worte, die so ein Brandstifter gesagt bekommen muss. Feige ist es, einen Brandsatz zu werfen. Feige ist die Tat und auch die Botschaft. Die Botschaft ist eine Drohung. Dass Kriegsflüchtlingen mit Brandanschlägen gedroht wird, ist kaum zu fassen. Auch wenn fremdenfeindliche Parolen in Zeiten von Pegida schon zur gewohnt täglichen Lektüre gehören.

3.334 Einwohner hat Escheburg. Sechs Kriegsflüchtlinge sollten in ein rotes Holzhaus einziehen, zwischen Einfamilienhäuser, zwischen Carports und Küchengardinen, zwischen VW Golfs und Rasenmäher. Sechs Männer. Vielleicht traumatisiert. Vielleicht traurig. Vielleicht voller Aggressionen. Vielleicht. Vielleicht sind es jetzt aber die Escheburger, die als erstes Aggressionen gezeigt haben. Und schlechtes Benehmen. Und unsoziales Verhalten. Ganz sicher sogar: Jemand hat ein Haus angezündet, in das Menschen einziehen wollten. Und andere, die in der Gegend wohnten, zeigten darüber kaum Empörung.

Im letzten Frühjahr bin ich in der Gemeinde Escheburg gewandert. Hübsch ist es da. In der Dalbekschlucht zum Beispiel, wo alles voller Anemonen war. Beschaulich. Ich mag es auf dem Land. Ich mag die Ruhe und die Natur. Ich komme selbst vom Land, habe immer eine Sehnsucht danach. Aber leben kann ich da nicht mehr.

Wenn man sich die Bilder von der Flüchtlingsunterkunft ansieht, dieses hübsche, rote Holzhaus, wenn man sich die Nachbarhäuser ansieht, die Nähe, die Zäune, die Grenzen, die Reviere, sich die Nachbarschaftsgespräche vorstellt, die Festgefügtheit der Verhältnisse, dann erinnert man sich, wenn man selbst einmal in solchen Verhältnissen gelebt hat, daran, wie das ist. In der Großstadt ist alles irgendwann einfach da. Je großstädtischer, umso veränderlicher sind die Verhältnisse. Läden eröffnen und schließen wöchentlich neu.

Im Haus gegenüber gibt es jetzt betreute Jugendwohnungen, die Jugendlichen sind manchmal laut, manchmal gibt es Streit, links und rechts seit einigen Monaten jetzt riesige Baustellen, und plötzlich erscheinen neue Fenster direkt vor meinem Dachfenster und ich muss wohl doch Jalousien besorgen. Die Stadt wird dichter und immer noch voller, jetzt, wo es wärmer wird: mehr Obdachlose, mehr Bettler, mehr Verrückte, mehr Durchgeknallte, mehr Betrunkene, mehr Unangepasste auf der Straße. Aber das ist normal, das ist die Großstadt, wenn es dir nicht passt, zieh weg. Du kannst in einem Großstadthaus nicht die Welt an dich anpassen.

Die Welt interessiert sich nicht für dich. Die Welt ist groß und schmutzig und traurig und heftig. Und alle haben ein Recht in ihr zu sein. Das lernst du in der Großstadt. Auf dem Land, im Einfamilienhaus, da hat jeder sein Revier, seinen Besitz, seine Hütte, da verteidigt er bissig die Lebensumstände, an die er sich in den letzten 20 Jahren gewöhnt hat, da denkt ein jeder Hausbesitzer, ihm gehört zumindest dieses Stück Welt, das direkt um ihn herum ist. Da denkt er, er hätte das Recht, globale Probleme aus seinem kleinen Leben herauszuhalten. Da denkt er, er hätte sich mit seinem Baukredit von der Verantwortung für die Welt losgekauft.

Am Sonntag kam Ministerpräsident Albig nach Escheburg und ungefähr 350 Einwohner waren auch da, um zu zeigen, dass es in Escheburg Menschen gibt, die mit Brandanschlägen nicht einverstanden sind. Das ist gut. Das ist vielleicht aber auch das Mindeste.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.