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Archiv-Artikel

DER BDI-CHEF WILL NIEDRIGERE REALLÖHNE – UND DANKBARE BESCHÄFTIGTE Arbeit als Sozialleistung

Es klingt wie eine Kampfansage an die Moderne; man könnte meinen, das Mittelalter kehre wieder. BDI-Chef Michael Rogowski tat gestern kund, wie er sich die ideale Gesellschaft vorstellt: „Unternehmen sollen Arbeit schaffen, während die Beschäftigten die soziale Sicherung und das Gesundheitssystem selbst finanzieren.“ Aber eine „kalte Unternehmerschnauze“ will Rogowski dann doch nicht sein und fordert eine „fürsorgliche Verpflichtung gegenüber den Mitarbeitern“. Die „Unternehmer sollten einem Wertegerüst folgen, das sich aus dem Christentum und dem Bild des ehrbaren Kaufmanns ableitet“. Der Chef wird wieder zum Patriarch, die Belegschaft zur gläubigen Familie.

So rückwärts gewandt diese Äußerungen wirken – manche beschreiben längst die Gegenwart und der Rest dürfte noch Zukunft werden. Doch stellt sich das Bild etwas anders dar, als Rogowski es sich ausmalt. Wenn er etwa fordert, dass die Beschäftigten die soziale Sicherung selbst finanzieren, so ist das überflüssig. Die Arbeitnehmer tragen die gesamten Sozialversicherungskosten sowieso allein. Begriffe wie „paritätische Finanzierung“ oder „Arbeitgeberanteil“ verschleiern das nur. Faktisch sind die Sozialbeiträge, die die Unternehmen zahlen, ein Teil des Lohns. Steigen zum Beispiel die Krankenkassenbeiträge, dann wird das bei den Tarifverhandlungen berücksichtigt.

Warum also regen die Rogowski-Sätze so auf? Es ist die unterschwellige Neubewertung von Arbeit: Sie ist für den BDI-Chef nicht mehr ein Produktionsfaktor, der Werte schafft und daher angemessen zu entlohnen ist. Stattdessen wird Arbeit an sich schon zur Sozialleistung. Die Beschäftigten haben dankbar zu sein für ihre Jobs.

Doch die öffentliche Aufregung verdeckt, dass auch viele Arbeitnehmer ihre Stellen als Gnade begreifen. Schließlich ist alles besser, als arbeitslos zu sein und nach einem Jahr nur noch maximal 345 Euro Arbeitslosengeld II zu bekommen. Was Rogowski eigentlich will, findet längst statt und wird noch große Zukunft haben: Die Reallöhne sinken – und werden weiter sinken. Der Rest ist nur noch Technik, ob man nun an den ausgezahlten Bruttolöhnen schraubt oder an den Sozialbeiträgen. ULRIKE HERRMANN