DEBATTE: Daimler-Benz und die steigende Grundrente
■ Was es bedeutet, wenn das Eigentum der Berliner BürgerInnen von seinen »Volksvertretern« verramscht wird?/ Das »Filetstück« am Potsdamer Platz wurde per EG-Gutachten mit 179,7 Millionen Mark bewertet
Ausgerechnet die Sozis schenken Kapitalisten 86 Millionen! Das obwohl in Berlin wegen Geldmangels Sozialeinrichtungen geschlossen werden müssen und die Gemeinde mit fast 4 Milliarden verschuldet ist. 179,7 Millionen war das knapp 62.000 Quadratmeter große »Filetstück« am Potsdamer Platz wert, als der Verkaufsvertrag mit Daimler-Benz abgeschlossen wurde, stellt das jüngst erstellte EG-Gutachten fest, und nicht 93 Millionen, wie mit den SPD-Vertretern vereinbart worden war.
Bis Ende Oktober will die zuständige EG-Kommission entscheiden, ob der Daimler-Konzern nachzahlen muß. Doch was geschieht, wenn der Wert des Grundstücks steigt, wie gegenwärtig aller Boden in Berlin? Die entsprechend steigende Bodenrente und den daraus resultierenden Bodenwertzuwachs kassieren die Daimler-Aktionäre, unter ihnen die Feudalherren von Kuwait, als arbeitsfreien Gewinn auf Kosten der Mieter von Wohnungen und Gewerberäumen. Und dieser Gewinn ist kein Pappenstiel! Im Verhältnis zu Berlin mit gegenwärtig 3,4 Millionen Einwohneren ist Zürich mit 351.000 Einwohnern fast ein Dorf. Nichtsdestotrotz betrug dort der Wert der 6 Hektar Innenstadt laut »Bilanz« bereits 1982 zwei Milliarden Franken oder 2,2 Milliarden DM. Der Bodenpreis in der Bahnhofstraße betrug derzeit etwa 300.000 DM pro Quadratmeter.
Wir können also davon ausgehen, daß dieses Preisniveau in der Innenstadt Berlins bald ebenfalls erreicht (und überschritten) sein wird (»In sechs Monaten 4.000 DM mehr für einen City-Quadratmeter«, meldete der 'Tagesspiegel‘ am 3. 9. 91). Auf das Niveau der Züricher Innenstadt angestiegen, hätten die 6,2 Hektar des Daimler-Geländes dann einen Wert von über 2,2 Milliarden DM, auf des Niveau der Züricher Bahnhofstraße geklettert, einen Wert von 18,6! Bei einer Grundrente von vier Prozent des Bodenwertes würden die Mieter der Daimler-Etagen bzw. die Käufer der Daimler-Karossen (»Eigenkapitalverzinsung«) dann rund 740 Millionen Bodenzins im Jahr an die Daimler-Aktionäre zahlen.
Die Grundrenten können nur vom großen Kapital bezahlt werden
Diese Rente wird mit dem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum Berlins ständig steigen, und sie kann in dieser Lage nur von den großen Kapitalgesellschaften aufgebracht werden, was die Wohnungsmieter und das Kleingewerbe aus der Innenstadt vertreibt. Manche Gewerberäume kosten in Ost-Berlin jetzt schon 70 DM pro Quadratmeter; im Zentrum Hamburgs werden bis zu 200 DM gezahlt. Alles, was über die Kosten von Instandhaltung, Verwaltung und Kapitaldienst für diese Räume, etwa 25 DM pro Quadratmeter, hinausgeht, ist Bodenzins — das arbeitsfreie Einkommen des Eigentümers von Boden: des Grundrentners.
Grundrente und Bodenpreise steigen, weil Boden ein unvermehrbares Naturprodukt ist. Soweit sich dieses Geschenk der Natur an alle Menschen glücklicherweise in der Hand der Gemeinde befindet, wird es systematisch von den Berliner sozial-, christ- und freidemokratischen »Volksvertretern« an eine privilegierte Minderheit, an die Großaktionäre von Daimler und Sony und an Bodenspekulanten wie Klingbeil verramscht. Hier wiederholt sich das, was Adolf Damaschke bereits zu Kaiser Wilhelms Zeiten in Berlin beobachtet hat und woraus die »Linken« nichts gelernt haben.
Verpachtet, könnte allein das Daimler-Grundstück der Berliner Gemeinde bald Hunderte von Millionen an Pacht einbringen. Wie viele Kindertagesstätten könnten von 740 Millionen im Jahr finanziert werden? Wie viele Arbeitsplätze könnten mit diesem Geld geschaffen werden? Wie viele Kreditzinsen würde die Gemeinde sparen, wenn sie entsprechend weniger Kredite bei den Finanzkapitalisten aufnehmen müßte? Doch der Senat verschleudert das wertvollste Gemeindeland — das Grundeigentum aller Berliner Bürger — an eine Handvoll Parasiten, denen dieses Geld als weitgehend unversteuertes, arbeits- und leistungsloses und kontinuierlich steigendes Einkommen zufließt. Und wenn die Gemeinde Land braucht, muß sie Boden kaufen, von diesen privaten Grundeigentümern und zum Vielfachen des Preises, den die Gemeindepolitiker selbst gefordert haben. So bereichern diese Politiker ihre reichen Freunde und produzieren Millionäre und Milliardäre. Feine Volksvertreter, die sogenannten Sozial-, Christ- und Freidemokraten, die so gerne von Sozial- und Leistungsgerechtigkeit faseln! Radi K. Linsky
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