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DEBATTEÖffentliches Schweigen

■ Noch einmal: Wider Deutschlands trauerunfähige Linke!

Ungern, aber entschieden reagiere ich auf Freimut Duves Polemik gegen meinen 'Spiegel‘-Essay „Die trauerunfähige Linke“. Ungern, weil die Leserkreise von taz und 'Spiegel‘ nicht unbedingt übereinstimmen müssen, so daß hier eine Art Schattenboxen stattfindet, eine undankbare Rolle für den Autor. Entschieden, weil Duves Replik nicht wirklich informiert (was an meiner grundsätzlichen Wertschätzung für ihn nichts ändert).

Mein Stoß richtet sich nicht gegen die Linke, sondern gegen jene Fraktion, die sich, bei stetiger Wachsamkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen und politischen Verbrechen im Westen, durch ihre ideologiebedingte und systemgebundene Ent-Solidarisierung mit den Gulag- und Stasi-Opfern des realexistierenden Sozialismus moralisch und intellektuell schuldig gemacht hatte und die heute dieser Vergangenheit mit einer verdrängerischen Gegenwart begegnet.

Richterpose? Pauschalangriff auf „Ossis“ und die ehemalige DDR, diesen ohnehin geschichtsverfinsterten Teil Deutschlands, mit seiner zerrütteten Wirtschaft, der ruinierten Ökologie und den verwüsteten Seelen seiner Bewohner? Nonsens! Keine Rede im 'Spiegel‘-Essay von denen, die über ihren verfehlten Hoffnungen, ihrer gestrigen Verantwortung, ihren zerschlagenen Träumen brüten. Kein Wort gegen ehemalige Genossinnen und Genossen, die sich bis in den Schmerz der Selbstbetäubung hinein bohrende Fragen stellen, viel zu unbeantwortet vor sich selbst, um sie an andere zu richten, die damit bisher ebenso wenig fertig geworden sind. Keine Silbe auch gegen die große Zahl jener, die den Doppelkampf ausfechten zwischen der Skylla ihres Politirrtums und der Charybdis hochfahrender „Wessi“-Übermacht. Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Suche nach Gerechtigkeit vielmehr — Versöhnung mit jedem in Schuld und Verantwortung Verstrickten, unter einer Voraussetzung: der Aufrichtigkeit, der Ehrlichkeit, der Wahrhaftigkeit! Genau die aber vermisse ich, nach fast zweieinhalb Jahren Erfahrungen mit ihr nach dem 9. November 1989, bei jener Linken, die ich die trauerunfähige nenne.

Keine Namen? Ich hatte drei genannt, prototypisch, wovon einer — Stefan Hermlin — leider dem Kürzungsdiktat zum Opfer fiel. Der zweite: Hermann Kant. Über ihn bleibt nichts zu sagen, er hat sich selbst gerichtet, erst recht nach dem 9. November 1989. Der dritte: Bernt Engelmann — und der tut weh! Wir kennen uns seit 30 Jahren, in denen ich oft mit ihm über sein Schweigen gen Osten gesprochen habe. Ich kenne sein Argument dafür: obschon tatsächlich von den Amerikanern in Dachau, habe er sich doch von der Roten Armee befreit gefühlt. Ich auch! Obwohl erlöst in Hamburg durch die Briten. Aber deshalb ein Leben lang die Augen schließen vor den Verbrechen des Systems, das die Rote Armee gebracht hatte, und sich mit ihm noch quasi verbünden?

Alles, was Freimut Duve sich seinerseits an Kritik abringen konnte, war: er habe sich über Bernt Engelmann „geärgert“. Sei's drum! Bleiben wir, zur Illustrierung meiner These von der trauerunfähigen Linken, bei diesem Beispiel (wenn auch, zugegeben, schweren Herzens meinerseits).

In seiner Replik spricht Freimut Duve von einer weiblichen Verwandten, die Mitte der 60er Jahre in ihrem eigenen Haus von der Stasi bis zu Tränen schikaniert worden sei... War das, Freimut Duve, dieselbe oder eine andere Stasi, von der Bernt Engelmann noch kürzlich über die Presse wissen ließ, daß sie „besser“ gewesen sei als der BND? Inzwischen nun hat er sich dazu auch auf dem Bildschirm geäußert — in der Sendung Wortwechsel des Südwestfunks, der Fragestunde der hartnäckig-höflichen Gabriele von Arnim. Mit ihr wollen wir bei ihm ausharren.

Ein Wortwechsel mit einer aufschlußreichen Marginalie

Engelmann, korrespondierend zum bereits bekannten „Das waren nicht alles Schweine!“, erklärte nun noch zusätzlich: bei der Stasi habe es auch „sympathische Leute“ gegeben, außerdem sei sie doch „international bewundert“ worden — und der Mimik nach auch von ihm (Frage von mir: War das alles über den „Kraken“? Ich wartete. Denn natürlich mußte noch etwas kommen, eine Hinwendung zu den Stasi-Opfern, und sei sie noch so klein. Sie kam nicht.). Dafür aber, auf den Vorhalt der „Einäugigkeit“, die Mitteilung: — Er habe sehr wohl „drüben“ kritisiert — auch in Briefen an Honecker! (Frage: warum nach Osten nur intern, nach Westen aber öffentlich, und diese Spaltung ein ganzes Dasein lang?) Darauf sogleich, als habe er mitgehört, die Antwort: — Bei offener Kritik im Westen hätte er „Nazis zur Seite“ gehabt (Frage: Und welche Verbündeten hat er statt dessen?) Weiter: — Er habe in der alten Bundesrepublik für Kommunisten gekämpft, weil er immer auf Seiten der Verfolgten stehe (Frage: Immer? Die größten Kommunistenmassaker fanden im Osten statt!)

— Dann eine aufschlußreiche Marginalie, Engelmanns Kommentar zu einer Schriftstellerzusammenkunft in Holland, an der Hermann Kant und Erich Loest teilnehmen sollten: „Eine Zumutung für Kant.“ (Ich hatte richtig gehört — für Kant! Frage: Nicht für Erich Loest, der im Staat der sympathischen Stasi-Leute fast acht Jahre politisches Zuchthaus absitzen mußte?)

Knalleffekt dieses Wortwechsels: der Talk über Schalck-Golodkowskis „Teestunde“ bei Engelmann, verbracht im gemeinsamen Tegernseer Wohnort Rottach-Egern. Der Hausherr, im Tone der Empfehlung: „Dem Schalck schlagen sie hier auf die Schulter! Die CSU ist begeistert von dem Mann!“ (Frage: aber seit wann Engelmann auch von der CSU?) Nicht genug damit, gleich hinterher: — „Schalck war ein Freund von Franz Josef Strauß! Warum sollte ich ihn mir nicht auch angucken?“ (Dazu zwei Fragen: seit wann fungiert der „Erbfeind“ Strauß als Vorbild? Und wann ist je einem Strauß-Freund aus dem Westen die Ehre eines solchen Plauderstündchens widerfahren?)

— Last not least: „Ich habe mich Schalcks angenommen, weil der heute ein geprügelter Hund ist.“ (Ausrufezeichen: Bernt Engelmann kann in seinem ganzen Leben nie einem wirklich geprügelten Hund begegnet sein, wenn er Schalck für einen solchen hält!)

— Schließlich das Bekenntnis: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ Sehr wahr — aber auch unteilbar! Doch wo war Deine Stimme, als diese Menschenwürde im Osten, und keineswegs nur im Westen, millionenfach verletzt wurde? Wo ein einziges Blatt, ein einziges Wort, die Deiner Empörung über die Geschundenen, Verhungerten, Erfrorenen, Ermordeten des Gulag Ausdruck gaben? Wo Dein Aufschrei über die Verbrechen des Stalinismus auf deutschem Boden? Schulterschluß mit einer so unsäglichen Figur wie diesem Oberfinanzier des realexistiernden DDR-Sozialismus — ja! Aber wo, Bernt, wo auch nur die Andeutung einer inneren Beziehung zu den Opfern des Stasi-Staates?

Das habe ich mich angesichts dieses Lehrstücks linker Trauerunfähigkeit 45 Minuten lang fassungslos gefragt — und wieder keine Antwort bekommen.

Freundschaften werden zerbrechen, ich sage und schreibe das alles nicht leichthin. Ich weiß, was sich da provoziert fühlt: das volle Verdränger-Lamento von „Rache-Haß-und- Vergeltung“, die bebende Unterlippe des „Wir-werden-zu-Unrecht- beschuldigt“, der Zorn all derer, denen die angemaßte Verwandlung in die Opferrolle nicht duchgelassen wird — Deutschland, deine Täter... es ist zum Gotterbarmen! Und könnte doch so anders sein, wenn jener Rat befolgt würde, den Friedrich Schorlemmer in die Nußschale dieses geschichtsschweren Satzes gefaßt hat: „Tut was, geht in euch, sagt endlich, wie es war. Dann könnt ihr leben.“ Und die anderen mit euch. Ralph Giordano

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