DEBATTE: Nachruf auf ein Grundrecht
■ Immer mehr Verteidiger des Asylgrundrechts scheinen zu einem Deal bereit: Asyl- gegen Einwanderungsrecht/ Eine brisante Auffanglinie
Nach dem Wahldesaster von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein geht der Konsens quer durch alle Parteien: das Grundrecht auf Asyl — in seiner jetzigen vorbehaltlosen Fassung — gehört zu Grabe getragen. In der Bundestagsdebatte zum Asyl wollte die SPD einen vorbehaltlosen Verzicht zwar noch nicht unterschreiben, aber einer Modernisierung, einer Anpassung an die veränderten Bedingungen unserer europäisch „harmonisierten“ Welt, will sie sich nicht länger verweigern. Doch auch über die Grenzen der etablierten Parteien hinaus haben sich selbst die engsten Freunde des agonierenden Grundrechts längst in das offenbar Unvermeidliche geschickt. Zur großen Erleichterung wurde ein pflegeleichter Ersatz gefunden, der über den Verlust hinwegtrösten soll — ein Einwanderungsgesetz samt Quotenregelung.
Vielleicht ist das Grundrecht auf Asyl nach jahrelanger Zermürbung jetzt tatsächlich nicht mehr zu retten. Doch eh man es, wie Daniel Cohn- Bendit, zum „Stalingrad“ einiger Unbelehrbarer erklärt (als ob die Verteidigung eines Grundrechts vergleichbar wäre mit einer menschenverheizenden aussichtslosen Schlacht), sollte man sich zumindest darüber im klaren sein, was man preisgibt und wogegen man es eintauscht.
Das Asylrecht dürfte — und das hat auch eine rechtspolitische Bedeutung — das einzige Grundrecht sein, das allein wegen seiner zu starken Inanspruchnahme seines wesentlichen Kerns beraubt wird. Kein Grundrecht wurde bisher auch deswegen geändert, weil es — vermeintlich oder tatsächlich — von einigen mißbraucht wurde. Wohl niemand käme auf die Idee, den Grundgesetzartikel 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ deswegen aus der Verfassung zu streichen, weil ganze Herr-Schaften und Institutionen massenweise und tagtäglich gegen dieses Gesetz verstoßen.
Sicher, erklärtermaßen will niemand — auch die CSU nicht — den Grundsatz abschaffen, daß politisch, rassisch oder religiös Verfolgte in Deutschland Asyl finden. Aber eine Änderung des bisher vorbehaltlos für alle Flüchtlinge geltenden Grundrechts kann logischerweise nur darin bestehen, diese Vorbehaltlosigkeit aufzukündigen. Gedacht ist denn auch an einen „Gesetzesvorbehalt“.
Asyl je nach politischer Opportunität
Doch dessen Inhalt bestimmt dann das Parlament mit einfacher Mehrheit. Aus einem einklagbaren Grundrecht wird eine Staatsangelegenheit, ein Recht, das politischen Opportunitäten, Stimmungslagen, Wahlkalkülen oder wirtschaftlichen Konjunkturen unterliegt. Künftig wird dann das Bundesinnenministerium in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt eine Liste erstellen, in welchen Ländern politische Verfolgung herrscht und in welchen nicht. Nur wer aus einem dieser Verfolgerstaaten kommt, wird überhaupt das Anrecht haben, einen Asylantrag zu stellen. Wer die schöngefärbten Lageberichte der deutschen diplomatischen Vertretungen im Ausland kennt, kann sich unschwer ausmalen, wie auserlesen klein der Kreis der Antragsteller sein wird.
„Wirklich“ politisch Verfolgte, darin sind sich alle Parteien einig, sollen auch weiterhin Asyl genießen. Nur was heißt „weiterhin“? Die meisten Flüchtlinge genossen dieses Recht ja auch bisher nicht. Sie „genossen“ bestenfalls eine Wartefrist. Ihr einziger Schutz war nicht die Asylanerkennung selbst, sondern das mit dem Asylrecht verbundene Recht auf Einreise und vorläufigen Verbleib bis zu einer — meist ablehnenden — Entscheidung. Denn im Laufe der Jahre wurde das Asylrecht durch Ausführungsbestimmungen und eine restriktive Rechtsprechung so restriktiv gehandhabt, daß die einzige Chance vieler Flüchtlinge die jetzt bemängelte Verfahrensdauer war. Gerade die Einreisemöglichkeit und die Wartezeit müßte jedoch eine Grundgesetzänderung ausschließen, wenn sie überhaupt den versprochenen Effekt haben soll.
Natürlich ist das Asylrecht auch von denen genutzt worden, die nicht vor politischer Verfolgung geflohen sind, sondern vor Armut, politischen Wirren und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Das bundesdeutsche Asylrecht bot ihnen die einzig erreichbare Eintrittskarte. Warum dann nicht ehrlicherweise gleich ein Einwanderungsgesetz schaffen, das die Migrations-Realität auch beim Namen nennt? Die Forderung klingt zunächst klug und vernünftig. Sie kristallisiert sich nicht umsonst gerade in den intelligentesten Köpfen der Parteien — von den Grünen bis hin zur CDU — als diskutable Auffanglinie heraus. Grundgesetzänderung gegen Einwanderungsgesetz — das scheint der Weg aus der Sackgasse. Doch dieser Deal ist ein Tausch von Elfenbein gegen Glasperlen. Wer das Asylrecht eintauscht, gibt notgedrungen etwas preis, ohne jemals die Konditionen für das Neue bestimmen zu können. Das Grundrecht auf Asyl war ein fixes, einklagbares Grundrecht. Ein Einwanderungsgesetz — sofern es überhaupt mehrheitsfähig sein sollte — wird in seiner Ausgestaltung immer parlamentarischen Mehrheiten, unseligen politischen Stimmungen und wirtschaftlichen Konjunkturen unterliegen. Schon jetzt zeigt die Debatte unter den Befürwortern eines solches Gesetzes, daß es dabei weniger um einen winzigen Beitrag zur Linderung des weltweiten Flüchtlingsproblems geht, sondern ausschließlich um innenpolitische Notwendigkeiten — um die Stabilisierung des deutschen Sozialversicherungssystems und um billige, paßgerechte Arbeitskräfte.
Einzig die Grünen versuchen in ihrem Gesetzentwurf Einwanderungskriterien aufzustellen, die sich auch nach den Bedürfnissen der Migranten und ihrer Heimatländer richten. Nicht nur die qualifizierten Facharbeiter sollen kommen dürfen, sondern auch die Ärmsten der Armen — in Maßen. Doch die Grünen werden weder bei der Entscheidung „wer darf kommen?“ noch bei der Frage „wieviele dürfen kommen?“ auch nur irgendeinen nennenswerten Einfluß haben.
Die Befürworter eines Einwanderungsgesetzes in den anderen Parteien sind zwar noch unentschieden, wieviele Menschen das große Einwanderungslos ziehen dürfen. Die Zahlen gehen von 30.000 (der hessische CDU-Chef Manfred Kanther) über 100.000 (Biedenkopf) bis zur 300.000 (Fraktionschef Klose) pro Jahr.
Einwanderung wird orientiert am deutschen Bedarf
In einem sind sich jedoch die Protagonisten in Politik und Wirtschaft einig: in ihrer Denkrichtung. Egal was in der Welt passiert, egal wie weit die Schere zwischen Erster und Dritter Welt noch auseinandergeht, die Einwanderungsquote soll sich nach den bevölkerungspolitischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen Deutschlands richten. Nicht zufällig decken sich die Quotenvorschläge der SPD exakt mit dem jährlichen Bevölkerungsschwund und dem vom Institut der deutschen Wirtschaft errechneten Arbeitskräftebedarf. Das mag ein Argument sein, das vielleicht sogar rechts angehauchte Wählerschichten von den Vorzügen „des Ausländers“ überzeugt. Doch wer sich einmal auf dieses Gleis der Kosten-Nutzen- Rechnung begibt, muß auch auf dieser Schiene weiter denken: Die logische Konsequenz ist eine strenge Selektion der Einwanderer nach Integrationsfähigkeit, Sozialverträglichkeit, Qualifikation und Geschlecht. Diesen Ausleseprozeß werden nur die wenigsten derer, die jetzt bei uns Asyl suchen, bestehen.
Das Grundrecht auf Asyl enthielt den wichtigen Leitgedanken einer politischen und moralischen Verantwortung für das Unrecht außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Mit dem Abschied vom Artikel 16 stiehlt Deutschland sich zwar nicht aus jeglicher weltpolitischer Verantwortung — aber es mogelt sich aus einer humanitären Idee. Es hält sich damit auch Menschen vom Hals, die durch ihre Anwesenheit die Kluft zwischen Erster und Dritter Welt unübersehbar machten und personifizierte Erinnerung daran waren, daß Deutschland und Europa nicht die Welt sind. Vera Gaserow
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