DEBATTE: Souveränität und Recht
■ Der Zagreber Philosoph Zarko Puhovski wünscht sich mehr Einmischung in die inneren Angelegenheiten in Kroatien, besonders von Deutschland
Die aktuelle Ausgangsposition im deutsch-kroatischen Verhältnis scheint ziemlich eindeutig: Das offizielle Deutschland hat reichlich (politisch) investiert, die kroatische Obrigkeit (wie sich die neue Führungsschicht selbst nennt) hat dagegen viel (und meistens nicht öffentlich) versprochen. Die beiden Seiten sollten auch weiterhin gut zusammenarbeiten. Denn es liegt eine große Chance in dieser Zusammenarbeit. Es geht nämlich nicht nur um gute Beziehungen, sondern auch darum, aus der jetzt entstandenen politischen Situation einen verallgemeinerbaren Präzedenzfall zu machen. Dieser Präzedenzfall könnte sogar zu einem neuen Prinzip der internationalen Gemeinschaft aufsteigen. Wenn nämlich die Abschaffung eines Kerngrundsatzes des kalten Krieges vorausgesetzt wird, nämlich das der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Subjekte des Völkerrechts“. Weiter noch: Es bedeutete faktisch die Abschaffung des Prinzips der „inneren Angelegenheiten“ als solches — wenigstens in den Fällen, bei denen es um höhere Prinzipien geht, zum Beispiel das der Menschenrechte.
Wenn diese Forderung allgemein akzeptiert wäre, schlösse sich folgende Frage an: Warum soll man gerade im Verhältnis der Deutschen und Kroaten (oder andersherum) neue Prizipien zu schaffen versuchen? Die Antwort liegt auf der Hand: Kroatien ist einer der neuen Staaten, die nach dem Ende des kalten Krieges konstitiuiert wurden, die gerade, weil es das Ende des kalten Krieges gab, überhaupt erst möglich wurden. Hinzu kommt noch, daß Kroatien bisher der einzige Staat war, der unmittelbar aus einem Verteidigungskrieg heraus anerkannt worden ist. Bekanntlich war ja die Bundesrepublik Deutschland der entschiedenste Garant für die internationale Anerkennung Kroatiens. Nicht nur die serbische Propaganda sieht in dieser Tatsache eine Wiederkehr der (häßlichen) Geschichte. Es ist deshalb im Interesse der deutschen Glaubwürdigkeit innerhalb der EG (und nicht nur dort), sich als ein Staat zu behaupten, der eine Außenpolitik macht, die nicht mehr als traditionelle Machtpolitik verstanden werden kann.
Offizielle Stellen der beiden Seiten im jetzigen jugoslawischen Konflikt (und der Konflikt ist fast das letzte jugoslawische Element, das noch existiert) neigen dazu, die deutsche Rolle in der Region zu überschätzen. Die jugoserbische Seite redet dauernd von der Gefahr des „4.Reichs“ und ist dabei sogar bereit, die Kroaten zu amnestieren. Mit der Behauptung nämlich, daß im Grunde die deutschen Interessen den Krieg ausgelöst hätten. (Das Postmoderne an der Argumentation ist, daß der deutsche Bedarf an Atommüllanlagen der Grund dafür sein soll.) Die kroatische Seite dagegen hofft auf die traditionellen Sympathien Deutschlands für Kroatien — und damit gegen Serbien. Beide Seiten sind sich also einig in der Annahme, daß man mit der deutschen Rolle rechnen muß und daß sie sehr wichtig, wenn nicht entscheidend ist.
Die deutsche Rolle in der jugoslawischen Krise hat also mit vielen Erwartungen zu tun. Aber letzten Endes ist es aus deutscher Sicht wirklich nicht allzu wichtig, nur der einen oder anderen Seite zu helfen, sondern als demokratischer Staat aufzutreten und Druck auszuüben, wie es auch dann und wann in den letzten Monaten der Fall war. Wenn aber dieser Druck nur taktischem Kalkül entspringt, kann er die politische Situation eines Landes, auf das er ausgeübt wird, nicht verbessern, aus taktischen Gründen ausgeübter Druck wird lediglich taktische Züge hervorbringen.
Die Lage in Kroatien braucht jedoch viel mehr als taktische Beseitigungen der Schönheitsfehler. Der Krieg dauert noch immer an, auch wenn die Frontlinie sich nicht mehr verschoben hat. Doch wird nun auch die unmittelbare gesellschaftliche Perspektive immer deutlicher. Und die ist offensichtlich eine bedrückende; die Perspektivlosigkeit ist verbunden mit ungeheuren Rache- und Haßgefühlen. Einerseits glauben bewaffnete Gruppen, daß gerade jetzt der Augenblick für Aktionen gekommen ist, währenddessen noch vor dem Ende des Krieges alte Rechnungen beglichen werden können. Leute werden verschleppt und sogar getötet (meistens, aber nicht nur, Serben), meistens serbische Häuser in die Luft gesprengt. Daß die andere Seite noch Schlimmeres getan hat und noch immer tut — besonders in den besetzten Gebieten — ist leider wohlbekannt. Und es ist fraglich, ob es überhaupt einen Staat auf der Welt gibt, der in der Lage wäre, auf Serbien einen Druck auszuüben, wie Deutschland auf Kroatien zu tun in der Lage ist. Doch als völkerrechtlich anerkannter Staat soll und muß gerade Kroatien dafür Sorge tragen, daß seine Antwort nicht allzulange ausbleibt. Die Tatsache, daß zum Beispiel die Behörden noch Ende Dezember versprachen, eine Untersuchung über das Schicksal der „fehlenden“ Serben aus Gospic' durchzuführen, es aber doch seinließen, gibt Anlaß zur Sorge. Auch Aktionen gegen die bewaffneten Gruppen (die oft mit der Polizei oder der kroatischen Armee in direkter Verbindung stehen) sind bis jetzt ausgeblieben. Und die politische Führung Kroatiens wird täglich als nicht patriotisch genug öffentlich kritisiert. Gerade deswegen braucht die Regierung — wenn sie überhaupt noch bereit ist, diese Probleme zu lösen — öffentliche Kritik aus dem Ausland, besonders aus der Bundesrepublik, die tatsächlich ein unvergleichliches Prestige in Kroatien genießt. So eine Kritik kann noch immer (obwohl wahrscheinlich nicht mehr lange) eine Unterstützung der demokratischen Elemente in Kroatien bedeuten. Wenn gewartet wird, könnte es leider viel schwerer (wenn nicht unmöglich) werden, die noch grausamere Fortsetzung des Krieges oder — im „besseren“ Fall — die permanent undemokratische und unstabile Lage der kroatischen Gesellschaft zu verhindern.
Die Frage der Grenzen ist deswegen sehr wichtig. Außenpolitisch braucht Kroatien (als Gesellschaft und nicht als Regierung) die Hilfe von außen, um die verlorenen Gebiete zurückzuerhalten. Diese Hilfe sollte in erster Linie eine diplomatische sein, obwohl man in den letzten Wochen und Monaten auch ziemlich viel über die deutschen Waffenlieferungen gesprochen hat. Die Tatsache der Überlegenheit der jugo-serbischen Seite und das Ausbleiben des Ölembargos (was sicherlich eine Waffe gegen die Volksarmee bedeuten würde), erleuchtet das Problem auch von einer anderen Seite. Aber eventuelle Waffenlieferungen können nur offizielle und offene sein, alles andere wird nur neue Elemente zur Kriminalisierung der kroatischen politischen Situation hinzufügen.
Und auch mit komplettem Territorium ist Kroatien nicht automatisch ein demokratischer Rechtsstaat. Die Tatsache, daß Kroatien als Opfer der Aggression im Recht ist, besagt nicht, daß alle Aktionen ihrer Behörden (oder gar der verschiedenen bewaffneten Gruppen) auch legitim sind. Gerade auf diese Differenz soll man, besonders aus der Bundesrepublik, hinweisen. Man sollte ernsthaft versuchen, einen Präzedenzfall zu schaffen. Und die Bemühung, den Kroaten zur Souveränität zu verhelfen, sollte mit der teilweisen Einschränkung der Souveränität Kroatiens abgeschlossen werden — auf jeden Fall in Sachen der Menschen- und Minderheitenrechte. Zarko Puhovski, Zagreb
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