piwik no script img

DEBATTEGlobale Umweltpolitik

■ Rhetorik, Ritual oder doch mehr?

Vor einiger Zeit wurde in dieser Zeitung eine pointierte Kritik internationaler Umweltpolitik veröffentlicht („Pseudo- Grüne“, taz vom 21.3. 1992). Die renommierte indische Ökologin Vandana Shiva kritisiert darin die vorherrschende Umweltpolitik im Nord-Süd-Kontext, die einen Eingriff von oben darstelle. Unter dem neuen Etikett „Umwelt und Entwicklung“ würden lediglich die alten Entwicklungsstrategien weiterverfolgt. Internationale Finanzierungsinstitute im Verein mit nationalen Eliten in Entwicklungsländern verfolgten Umweltprogramme, die nicht nur nichts bewirken, sondern häufig wiederum umweltschädlich und auch gegen die Interessen der Völker gerichtet seien. Hoffnung versprächen allein Selbsthilfeaktionen der in ihren Lebensgrundlagen bedrohten Menschen.

Die Kritik ist ohne Frage in vielen Punkten zutreffend. In der internationalen — wie auch in der nationalen — Umweltpolitik tummeln sich jede Menge „Pseudo-Grüne“. Inzwischen beklagen auch Unternehmen und ihre Verbände die globalen Umweltbedrohungen und beschwören die Notwendigkeit einer ökologischen Wende. Gleichzeitig werden sie allerdings nicht müde, „ökonomische Vernunft“ einzufordern, womit oft nichts anderes gemeint ist, als daß die alten Prozesse, bitte schön, nicht allzu schnell abgelöst werden dürften. Regierungen formulieren umweltpolitische Programme, fördern aber auf der anderen Seite zugleich umweltschädliche Entwicklungen, ohne ernsthafte Versuche zu unternehmen, die verschiedenen Politiken zu integrieren.

Dennoch ist mir Shivas Bild nicht differenziert genug. „Umwelt und Entwicklung“ ist nicht bloß ein neues Etikett, mit dem die alten Entwicklungspolitiken und -strategien überklebt werden. Der Kernbegriff „sustainable development“ (im Deutschen vielleicht am ehesten mit „tragfähige Entwicklung“ zu übersetzen) wurde 1980 in der „World Conservation Strategy“ vorgeschlagen, im Bericht der Brundtland- Kommission 1987 übernommen und weltweit populär gemacht. Seitdem sehe ich zumindest eine Umorientierung im Denken, in Bereichen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Es wird erkannt, daß der Schutz der Umwelt und die Erhaltung der Lebensgrundlagen ökonomische Fragen sind, damit auch Fragen der Entwicklung. Nicht Ökonomie und Ökologie, sondern vielmehr kurzsichtiges und langfristiges Wirtschaften sind die Gegensätze, die es aufzuheben gilt. Global darf es sicher kein Wachstum mehr geben, lokal und regional sollte Wachstum aber möglich sein, müßte es auch, wenn man das Gleichheitsprinzip ernst nimmt. Umwelt- und Naturschutz, bei dem nicht ökonomisch gedacht wird, hängt einfach in der Luft, ist ineffektiv und irrelevant; und umgekehrt gilt, daß eine Wirtschaftsordnung, die keine Rücksicht auf Natur und Umwelt nimmt, sich ihr eigenes Grab schaufelt.

Jede Menge „Pseudo-Grüne“

Zugegeben: Einsichten, Strategien und Programme verändern noch nichts. Neuem Denken müssen auch Taten folgen. Der Brundlandt-Kommision ist die Einberufung der UN- Konferenz über Umwelt und Entwicklung gefolgt. Sie wurde mit viel Getöse und Geld weltweit vorbereitet, doch je näher man Rio kommt, um so niedriger werden die Erwartungen gehängt, obwohl sie doch als Jahrhundertkonferenz gedacht war. Wer realistisch war, konnte schon vor zwei Jahren absehen, was jetzt eintritt. Bei allem Problembewußtsein fehlt es an dem notwendigen politischen Willen, wirklich etwas für die Umwelt zu tun, es fehlt an Entschiedenheit, an Bereitschaft zum Verzicht und zum Teilen, ohne die die Probleme nicht zu lösen sind. Auch wenn die großen globalen Probleme identifiziert sind — Schutz der Atmosphäre, Abbau der Ozonschicht, dramatischer Rückgang der Artenvielfalt, weltweite Vernichtung der Wälder —, die globale Konsensfindung ist und bleibt ungeheuer schwierig.

Frau Shiva scheint deshalb vor allem auf die Selbsthilfe Betroffener zu setzen. Auch ich halte diese für eine wesentliche Antriebskraft, glaube aber auch, daß Umweltpolitik national und international unverzichtbar ist. Politik als Steuerungsinstrument ist auch durch eine Kette von Selbsthilfeaktionen nicht zu ersetzen. Ermutigende Ansätze sind nicht zu übersehen. Dazu zähle ich die schrittweise Verschärfung des Montrealer Protokolls über die ozonschichtabbauenden Substanzen. Das Protokoll geht außerdem auf die besondere Situation der Entwicklungsländer ein und erkennt an, daß sie technologisch und finanziell unterstützt werden müssen, sieht deshalb heute einen speziellen Fonds für diese Zwecke vor. Ganz generell ist zu beobachten, daß Technologietransfer und finanzielle Hilfen für Entwicklungsländer ein ständiger Tagesordnungspunkt internationaler Verhandlungen geworden sind.

Regional kommen zwischen Staaten schneller Vertragswerke zustande, auch solche, die schärfer sind als globale, die afrikanische Müllexportkonvention vom vergangenen Jahr ist ein Beispiel dafür — auch wenn man erst abwarten muß, wie sie umgesetzt wird.

Auch national gibt es Umweltschutzmaßnahmen und -politiken —nicht nur Selbsthilfemaßnahmen Betroffener—, die den Versuch machen, etwas im Sinne des Umwelt- und Ressourcenschutzes zu tun: Es ist oft beeindruckend zu sehen, wie Staaten in Afrika und Asien unter ungeheuren Zwängen und fast mittellos darangehen, eine nationale Umweltplanung einzurichten, die drängendsten Umweltprobleme anzugehen, die letzten verbliebenen Ressourcen zu retten, um damit aus dem Teufelskreis von Hunger und Umweltzerstörung herauszukommen. Etwa 50 Länder bereiten heute „National Conservation Strategies“ oder „Environmental Action Plans“ vor. Sie vollziehen dabei nicht bloß den Wunsch internationaler Geldgeber, die schöne Safari-Parks in Afrika retten wollen, sondern sie verfolgen ein selbstgesetztes politisches Ziel und zeigen die feste Entschlossenheit, mehr als ein Stück Papier zu produzieren. In einer großen Zahl von Ländern wird derzeit versucht, die Umweltprogramme und -pläne auch umzusetzen, beispielsweise in eine neue Gesetzgebung und in neue, effektivere Institutionen.

Wichtig ist bei alledem, daß Politik andere Formen und andere Inhalte bekommt. Das wird aber erst passieren, wenn Betroffene an den Entscheidungsprozessen effektiver teilhaben als bisher. Diese Teilhabe, das zeigt die Erfahrung, muß erkämpft werden, sie wird in aller Regel nicht freiwillig gewährt. Auch Rechte zur Beteiligung müssen erstritten werden. Vermutlich wird die Ausweitung der Beteiligung einhergehen müssen mit einer weitergehenden Dezentralisierung der Entscheidungsfindung.

Ansätze sind auch in dieser Richtung vorhanden. In Industrie- und Entwicklungsländern hat man erfahren, daß autoritäre Entscheidungsprozesse in die Irre führen. Zunehmend sehen Staaten in ihrem nationalen Recht Beteiligungsrechte für die Öffentlichkeit vor, auch das Völkerrecht trägt dem mehr und mehr Rechnung. Heute werden Forderungen laut, Umweltverbände auch in die internationalen Verhandlungen einzubeziehen, ihnen auch eine Mitwirkung bei der Überwachung und Durchsetzung internationaler Instrumente zuzuweisen. In diese Richtung muß die Entwicklung gehen. Dann besteht zumindest die Chance, einem effektiven Umweltschutz näherzukommen, einem Umweltschutz auch, der die Interessen und Rechte der betroffenen Bevölkerung respektiert. Lothar Gündling

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen