DAVID DENK über GONZO : Gestatten, ich bin die Vertretung
„Hier wird durchkolumniert“, waren die letzten Worte des Chefs, bevor er sich nach Südamerika abgesetzt hat
Diese Kolumne heißt „Gonzo“. Was genau das bedeutet, dieses Herrschaftswissen hat der Chef mit auf seine Hacienda genommen. Doch zum Glück gibt’s Wikipedia. Geben wir’s doch einfach mal ein. (Wie haben Journalisten eigentlich früher recherchiert?) Hm, eine Liste mit neun Bedeutungen: „Mit der Bezeichnung GONZO verbindet sich eine Vielzahl von Sachinhalten.“ Also gut! Dann arbeiten wir die Liste eben mal durch. Wird ja wohl kaum alles in Frage kommen:
1. Matthias „Gonzo“ Röhr, Gitarrist der Band Böhse Onkelz: Oh, die Sie-WAREN-mal-Nazis-Band. Scheidet wohl aus – musikalisch sowieso, aber auch als Thema dieser Kolumne. Ist eher was für „Geschöpfe“.
2. Im US-amerikanischen Sprachgebrauch eine Person mit exzentrischem, außergewöhnlichem Verhalten: Schon besser. Unter uns: Der Chef war schon manchmal etwas – nun ja – wunderlich. Also, im liebenswürdigen Sinne. Bayer halt und begnadeter Hitler-Parodist – eine teuflische Kombi. Nicht zu vergessen diese Brille natürlich, die er auf dem Kolumnenfoto trägt. Und einmal habe ich ihn dabei beobachtet, wie er auf der Toilette vorm Spiegel seinen Hüftschwung geprobt hat. Koteletten hat er auch. Ich glaube, wenn er sich nicht gerade für Hitler hält, hält er sich für Elvis. Aber als Kolumnenthema? Ich weiß ja nicht.
3. Eine Art entfesseltes, subjektives journalistisches Schreiben/Filmemachen: Kann ich mir nicht vorstellen. So was steht nicht in der taz.
4. Eine Figur der Muppet Show: Stimmt ja, dieser kümmerliche blaue Zottel mit der Sichelnase heißt auch Gonzo. Mein feines Näschen sagt mir allerdings, dass sein Zinken mit dieser Kolumne nichts zu tun hat.
5. Ein japanisches Zeichentrickstudio: Beim Klicken auf den Link erfahre ich, dass Gonzo Inc. „1992 von Mahiro Maeda, Hiroshi Yamaguchi, Shinji Higuchi und Showji Muraham gegründet“ wurde und „Jingles für Space Shower TV“ produzierte, bevor sie sich zunächst Playstation-Spielen und später Animes widmeten. Klingt ja ganz interessant, hilft mir allerdings auch nicht wirklich weiter.
6. Eine Stuttgarter Rockband: Ihren ersten Auftritt hatten Gonzo 1989 in Backnang beim SDR-Musikwettbewerb „Talente ans Mikrofon“. War der Chef womöglich zufällig dabei, ist seitdem der größte Gonzo-Fan außerhalb Schwabens und missioniert per Kolumne? Wohl kaum.
7. Ein österreichisches Kabarett-Duo: Oder vielleicht ist er doch Fanclubvorsitzender von „Gonzo & Qualle“. Wenn ja, würde ich diese Herren gern mal unter sechs Augen ins Gebet nehmen. Sie ahnen wahrscheinlich gar nicht, was ihre Witze aus dem Mund des Chefs in der Redaktion schon angerichtet haben.
8. Eine Variante des Pornofilms: „Die Besonderheit von Gonzo ist, dass der Kameramann bzw. Regisseur nicht als neutraler Beobachter agiert, sondern für den Zuschauer ersichtlich in das Geschehen eingreift – indem er z. B. Anweisungen gibt, Dialoge mit den Darstellern führt oder selbst an sexuellen Handlungen teilnimmt. Der Regisseur/Kameramann ist also gleichzeitig auch Darsteller. Dieses Genre wurde von John Stagliano erfunden. Eine Unterart hiervon sind die sogenannten P.O.V.-Filme („Point of View“), in denen die Kameraführung aus der Position eines (meist) männlichen Darstellers erfolgt und dem Zuschauer eine aktive Teilnahme suggeriert. Eine Gonzodarstellerin ist in der Pornobranche der Gegensatz zu den Glamour-Pornosternchen. Vertreterinnen dieses Genres verfügen meist nicht über das perfekte Modelaussehen, sondern setzen stattdessen auf Natürlichkeit und Ausstrahlung.“
Nein, pfui, dies ist schließlich eine seriöse Zeitung.
9. Der Name eines Gänsegeiers: Sapperlot, das wäre mal eine journalistische Sensation – eine Gänsegeier-Kolumne, weltexklusiv in der taz. Leider zu schön, um wahr zu sein.
Es hilft alles nichts.
Ich muss meine neue Chefin anrufen. Fragen, was „Gonzo“ heißt. Eine heikle Angelegenheit für einen Kolumnisten i. V., der nicht möchte, dass dahinter bald a. D. steht.
Aber irgendwie muss das hier ja weitergehen …
Wer könnte das sein? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE