DAS LEBEN EINES AFRIKANERS GILT WENIGER ALS DER PATENTSCHUTZ : Ganz legale Kriminalität
Bei Aids gibt es keinen Grund zur Beruhigung. Das belegen die Zahlen, die die UNO gestern vorgelegt hat. Mehr noch: Erneut wird deutlich, wie sehr das Recht auf Leben inzwischen zum Klassenproblem geworden ist und welch tödliche Folgen die Interessen einiger weniger Pharmafirmen für Millionen Menschen weltweit haben.
Seit Jahren existiert die Möglichkeit der antiretroviralen Therapie (ART). Sie ermöglicht, mit der HIV/Aids-Infektion zu leben, ohne dass die Krankheit voll ausbricht. In den Industrieländern ist die Zahl der Aids-Todesfälle dadurch in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen. Doch in Afrika sterben in diesem Jahr rund 2,4 Millionen Menschen an Aids. Und nach In-Kraft-Treten des Trips-Abkommens der Welthandelsorganisation im vergangenen März wird sich diese Situation mit Sicherheit nicht verbessern.
Bis zum März konnten zum Beispiel indische Pharmafirmen die ART-Medikamente als Generika herstellen und zu Preisen vertreiben, die auch in armen Ländern zu bezahlen waren. Mit den neuen Patentschutzregelungen wird das künftig schwer durchzuhalten sein. Im Prinzip lässt die WTO-Regelung zwar zu, dass Regierungen einzelne Produkte mit einer so genannten Zwangslizenz ausstatten, wenn etwa medizinische Notstände zu bekämpfen sind. Doch obwohl das bei HIV/Aids der Fall ist, schrecken Länder regelmäßig unter dem starken Druck der US-amerikanischen und europäischen Herstellerländer davor zurück.
Unter diesen Umständen erscheint die Versicherung der G-8-Staaten, bis 2010 allen behandlungsbedürftigen Patienten weltweit Zugang zu antiretroviraler Therapie zu ermöglichen, als Illusion. Der Vorschlag ist ohnehin ehrgeizig genug: Derzeit sind weltweit rund 1,1 Millionen Menschen in antiretroviraler Behandlung; die Zahl der Behandlungsbedürftigen ist mindestens fünfmal so hoch. Doch dass schlichtes Profitinteresse Menschen den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten verweigert, ist die ganz legale Kriminalität einer aus dem Ruder geratenen Wirtschaftsweise.
BERND PICKERT