DAS GEZERRE IN DER SPD UM DIE BÜRGERVERSICHERUNG IST SCHÄDLICH : Ungesunde Debatte
Die Bürgerversicherung muss man sich als einen Umbauplan der Krankenversicherung vorstellen, bei dem nicht bloß hier ein Schräubchen und dort ein Schräubchen gedreht wird. Es soll vielmehr der ganze Motorblock ausgetauscht werden. Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung einer 80-Millionen-Bevölkerung wird auf neue Füße gestellt: Das ist so ein großes Projekt, dass es selbst die Fantasie der Gegner überfordert. Sie greifen zu den billigsten ideologischen Traditionen: der Warnung vor der roten Gefahr. Dass mit der Bürgerversicherung die „Einheitskasse“ oder ein „Zwangssystem“ kämen, gemahnt nicht nur zufällig an finstere kommunistische Zeiten.
Wahr ist an solcher Rhetorik zunächst einmal lediglich: Ziel der Bürgerversicherung ist, dass es kein Zweiklassensystem mehr geben soll – hier die Erstklassen-Medizin für die privat Versicherten, dort Standardversorgung für das Kassen-Volk. Es braucht niemand zu wundern, dass die Privatversicherten, die privaten Versicherungen und die privat abrechnenden Ärzte das für eine miese Idee halten: Die, die vor dem Zwangssystem warnen, sollen gezwungen werden, Privilegien abzugeben.
Was außerdem stimmt, ist: Manche im Bürgerversicherungslager finden, dass die gegenwärtigen Modelle nicht weit genug gehen. Warum nicht eine steuerfinanzierte Einheitskasse nach britischem Vorbild? Andere im selben Lager finden außerdem, dass es keinen Grund gibt, die Verwaltungskosten für zwei- oder dreihundert Kassen zu zahlen, die sowieso alle die gleiche Leistung bringen.
Diejenigen aber bei SPD und Grünen, die derzeit die konkreten Modelle einer Bürgerversicherung ausbrüten, setzen auf den Wettbewerb. Wenn private und gesetzliche Versicherungen zu fairen Bedingungen miteinander konkurrieren, wird sich schon herausstellen, wer am längsten überlebt. Könnte sein, dass die Privaten es ganz schön schwer haben werden, wenn sie nicht mehr nur die Gesunden und Gutverdienenden nehmen dürfen. Das ist aber nicht schlimm.
Schlimm wäre etwas anderes: wenn die Regierung nämlich auf die Idee kommt, dass es sich doch nicht lohnt, sich etwa mit der Beamtenlobby oder den Versicherungskonzernen anzulegen – also einen unvollständigen Motor einzusetzen. Das Gezerre im SPD-Lager, das sich abzeichnet, lässt nichts Gutes ahnen. Nächste Woche, wenn die SPD-Arbeitsgruppe mit ihren Ergebnissen rausrückt, wird sich zeigen, wie ernst es dem Kanzler und seinen Ministern mit dem SPD-Parteitagsbeschluss für die Bürgerversicherung ist.
ULRIKE WINKELMANN