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Archiv-Artikel

DAS FATALE ERBE BLAIRS IST EINE ENTPOLITISIERTE GESELLSCHAFT Ende der Hegemonie

Es ist das erste Mal seit einer Generation, dass ein britischer Premierminister den Zeitpunkt seines Rücktritts selbst bestimmt, und der Abgang von Tony Blair hinterlässt die britische Politik in einem Zustand, wo alles möglich scheint. Die Labour-Partei ist in einem desolaten Zustand, mit weniger Mitgliedern als vor Blairs Amtsantritt und einer demoralisierten Aktivistenbasis, die schon froh ist, wenn ihre Partei in Kommunalwahlen auf über 25 Prozent kommt. Die oppositionellen Konservativen legen mit ihrer verjüngten Führung in der Wählergunst stark zu. Sie sind aber weit davon entfernt, ähnlich wie Blairs „New Labour“ vor zehn Jahren quer durch die Gesellschaft Begeisterung zu entfachen. Die Liberalen, dritte Kraft des Landes, sind in einer Schwächephase. Und Schottland wird zukünftig voraussichtlich von Nationalisten regiert, die in Richtung Unabhängigkeit streben.

Während der Thatcher-Ära bis zu Beginn der 90er-Jahre hielten die Konservativen eine unangefochtene kulturelle und politische Hegemonie; nach Blairs Antritt als Labour-Führer 1994 war es die Labour-Partei, die alle anderen Kräfte überschattete. Diese Zeit ist jetzt vorbei. Das politische Spiel ist weit offen. Nach dem Verschwinden des Übervaters Blair begegnen sich der zukünftige Labour-Premier Gordon Brown und der konservative Oppositionsführer David Cameron auf Augenhöhe. Das hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Es ist derzeit völlig unmöglich, den Gewinner der nächsten Parlamentswahl vorauszusagen – auch das hat Großbritannien seit langem nicht mehr gekannt.

Eigentlich müsste ein solcher Zustand eine neue Ära des politischen Engagements einläuten, mit heißen ideologischen Debatten und Richtungsdiskussionen. Aber davon ist in Großbritannien wenig zu spüren. Eher herrscht in der Gesellschaft eine Stimmung der Entpolitisierung. Politik wird als Spezialinteresse von Technokraten gesehen, das vor allem dem eigenen Machtstreben dient. Die Briten haben heute nicht mehr den Eindruck, dass Entscheidungen an der Wahlurne einen besonderen Einfluss auf ihre Lebensumstände haben. Das ist das fatalste Erbe der Ära Blair, an dem auch seine Nachfolger sich die Zähne ausbeißen dürften. DOMINIC JOHNSON