DAS DING, DAS KOMMT : Illusion auf dem Pflaster
STRASSENBILDER wie dieser 3D-Pool mit Walen von Nikolaj Arndt sind die Attraktion des Streetart-Festivals Wilhelmshaven
Den schönsten Namen tragen sie natürlich in Italien. Dort nennt man sie „Madonnari“. Weil sie während der Hochphase der Renaissance als Kopisten vor allem Madonnen und Ikonen aufs Pflaster malten. Die bekam das gemeine Volk ja sonst nur zu Festtagen präsentiert. Herumziehende Künstler versuchten so, über die Runden zu kommen, wenn ihre Arbeit in den Kathedralen beendet war. Auch El Greco soll auf Pflaster gemalt haben.
„Madonnari“, das klingt zumindest ein wenig nach Kunst. Und gesellschaftlicher Anerkennung. Heute werden ihre Nachfahren als Künstler meist verlacht. Dabei tun sie nichts anderes als ihre historischen Vorbilder: Malen Botticelli oder eben El Greco aufs Pflaster. Dem deutschen Wort „Straßenmalerei“ hört man den Statusverlust an. Und dem britischen „Screever“ erst recht. Dort bezeichnet das Wort nämlich auch: Bettelbriefschreiber.
Der in Ungnade gefallenen Zunft wieder auf die Beine geholfen haben Anfang der 70er die Journalistin Maria Grazia Fringuellini und der Ethnologe Gilberto Boschesi. Anlass für ihr erstes „Grazie di Curtatone Madonnari“-Festival auf dem Kirchplatz in Curtatone war die Verhaftung eines Straßenmalers in Italien. Heute gilt das Festival als renommiertestes seiner Art.
Modernisiert hat die Pflastermalerei aber vor allem der US-Amerikaner Kurt Wenner. Der schmiss 1982 seinen Job als Nasa-Illustrator und machte sich nach Italien auf, um die figurative Malerei der Renaissance für sich zu entdecken. Und finanzierte seine dann fast 30 Jahre dauernde Studienreise als Madonnaro. 1984 entwickelte er dabei die sogenannte anamorphorische Perspektive, verzerrte Bild und Blickwinkel – und schuf so eine verblüffende Illusion von Dreidimensionalität. Und ein neues Genre der Straßenmalerei. 1991 signierte Papst Johannes Paul II. Wenners eigens für dessen Besuch gemaltes 1.125-Quadratmeter-Bild im italienischen Mantua. Und erklärte die Straßenmalerei offiziell zur religiösen Kunst.
In Wilhelmshaven, wo die Straßenmalerei dieses Wochenende zum dritten Mal mit dem Internationalen Streetart-Festival gefeiert wird, kann man immerhin schon auf einen Weltrekord verweisen. Letztes Jahr konnte man dort das bislang größte 3D-Bild der Welt bestaunen. 445 Quadratmeter größer als Wenners Gigant war das Bild der Arche Noah in einer Schlucht. Rund 35 Kopisten, „freie Künstler“ und 3D-Maler aus zehn Ländern verschönern dieses Jahr zwei Tage lang Marktstraße und Valoisplatz. Sehen kann man die Werke vielleicht nur bis zum Mittwoch. Dann wäscht der Regen allmählich alles wieder weg. ROBERT MATTHIES
■ Sa/So, 3./4. 8., ab 10 Uhr, www.streetart-wilhelmshaven.de