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Archiv-Artikel

DAS DING, DAS KOMMT Vom Bettenmachen

FELDPOST ist – um es einmal wirklich vorsichtig auszudrücken – in sehr vielen Fällen nicht besonders interessant

„Geschichte von unten“ war angesagt, die der Generäle und Diplomaten out

Die Feldpost seines Urgroßvaters fiel dem Hamburger Schauspieler Oliver Hermann vor Jahren in die Hände. Seitdem lässt ihn das zwischen den alten Zeilen durchscheinende Schicksal seines Vorfahren, der im Ersten Weltkrieg an mehreren Fronten kämpfte und kurz vor dessen Ende durch einen Granatsplitter starb, nicht mehr los.

Die Beschäftigung mit den Schriftstücken inspirierte Hermann, zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs mit Kollegen eine Theater-Collage über den Irrsinn des Konflikts auf die Bühne zu bringen. Das Stück „Weltenbrand“ feiert am Mittwoch in der Krypta der Hamburger St.-Nikolai-Kirche Premiere.

Historiker schätzen, dass in den vier Jahren des Ersten Weltkriegs allein auf deutscher Seite knapp 29 Milliarden Feldpostsendungen verschickt wurden. Millionen Postkarten, Briefe und Päckchen wanderten tagtäglich zwischen den Soldaten und ihren Lieben hin und her. Eilig hingekritzelte Lebenszeichen auf vorgedruckten Propaganda-Kärtchen („Der Kaiser rief und alle, alle kamen“), seitenlange Briefe mit Alltagsschilderungen oder Sendungen mit Geld und Essen.

Feldpost begleitet deutsche Soldaten seit rund 300 Jahren in ihre Kriege. 1716 wurde das erste preußische Feldpostamt gegründet. Bis heute organisieren Bundeswehr und Deutsche Post bei Auslandseinsätzen immer auch die „postalische Versorgung“. Postmitarbeiter mit militärischer Ausbildung – sogenannte Feldpostsoldaten – betreiben etwa in Afghanistan Postämter.

Historische Feldpostbriefe dürfen heute in keiner Ausstellung und keinem Buch über die blutigen Kriege des 20. Jahrhunderts fehlen. Sie gelten als „Fenster“ in die Gedankenwelt der Menschen, die töteten und starben. Das war nicht immer so. Erst in den 1980er-Jahren entdeckten Forscher sie für sich. „Geschichte von unten“ war angesagt, die der Generäle und Diplomaten out.

Zu beneiden sind Historiker bei der Auswertung von Feldpost nur bedingt. Der größte Teil ist – um es vorsichtig auszudrücken – nicht besonders interessant. Tiefgründige Gegenwartsbeobachtungen finden sich darin eher selten, wie Kenner der Materie einräumen. „Ein wunder Punkt ist nur das Bettenmachen“, schrieb der Hamburger Soldat Hans Gebien beispielsweise 1915 an seine Frau. Ihm fehle dabei der „richtige Schwung“. Sie solle ihm von zu Hause ruhig ebenfalls alles schreiben, ergänzte er in einem Brief. „Auch Nebensächliches interessiert.“

SEBASTIAN BRONST

■ Mi, 2. 4., Mahnmal St. Nikolai, Hamburg