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Archiv-Artikel

DANIÉL KRETSCHMAR ÜBER DEN BUNDESPRÄSIDENTEN UND DIE FLÜCHTLINGSFRAGE Das alte Leid

Was aus der deutschen Geschichte zu lernen sei, fragt Joachim Gauck in seiner Rede zum Weltflüchtlingstag, der hierzulande zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung ausgeweitet wurde. Seine Antwort: Die Erinnerung an die deutschen Opfer der Vertreibungen soll die Empathie steigern für jene, die heute vertrieben und auf der Flucht sind.

„Mit politische Thesen“, sagt der Bundespräsident mit Blick auf die eng verwobene Debatte über deutsche Schuld und Vertreibung, „blockieren wir die uns mögliche Empathie.“ Er hat in gewisser Weise recht, denn wer kein Haus, kein Essen, keine Heimat hat, braucht keine Belehrungen über politisch-historische Zusammenhänge, sondern unmittelbare Hilfe.

Aber so wie Gauck betont, dass Flüchtlingspolitik im größeren Rahmen gedacht werden sollte, als Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik etwa, also gerade vom Individuum weg, so sollte er wissen, dass Geschichtspolitik aus mehr als der Meditation über von jeder Vorgeschichte getrenntes individuelles Leid besteht.

Gauck gesteht immerhin zu, dass Deutschland Schuld am Weltkrieg hatte, löst dann aber die Leidensgeschichte der vertriebenen Individuen aus diesem Kontext und hebt sie in einen Rang mit dem Leid der Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Das ist, auf dem Umwege einer Enthistorisierung und Entpolitisierung der Erinnerung an den von Deutschland über die Welt gebrachten Krieg, der Versuch eines rhetorischen Schlussstrichs.

Dazu passt, dass Gauck sich auch in Richtung des rassistischen Mobs verneigt. Er wirbt um Verständnis für jene, die aus zu großer „kultureller Distanz“ keine Solidarität mit Flüchtlingen zeigen wollen. Fragt sich nur, ob der Bundespräsident wirklich um Empathie für Leidende werben will oder doch nur für leidende Deutsche.

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