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Archiv-Artikel

Crowd-Engineering Selbstverwirklichung in der Club-Ökonomie

Richtig tanzen tun in den Clubs nur Touristen und Unkundige

VON HELMUT HÖGE

Die Kapitalisierung der Begehren betrifft beide Geschlechter. Die Pariser Gruppe „Tiqqun“ hat das zur Figur des „Jungen-Mädchen“ inspiriert, dessen diffuser Wunsch nach Selbstverwirklichung in der „spektakulären Ökonomie“ auf eine „Selbstverwertung“ hinauslaufe.

In Berlin hat diese „Ökonomie des Spektakels“ die industrielle Produktion fast ersetzt, ihre Lokationen sind denn auch meist stillgelegte Fabriken. Die „Jungen-Mädchen“ kommen als Club-Gäste mit Billigfliegern von weit her. Geschieht das wegen der Musik und der Drogen, auf denen sie dann ausdauernd tanzen – nicht selten bis zum Abflug? Während es den Stammgästen um die Herstellung des Sozialen geht und ihre Musik- und Drogenvorlieben bloßes Mittel bei der Sozialauswahl sind? Früher wusste man, wer Disco-Queen und -King war und wie es dort funktionierte, heute geht es „cooler“ zu, obwohl es natürlich immer noch gut tut, wenn der Türsteher einen aus der Schlange holt und reinbittet.

Die sich in den Clubs „im Sozialen“ befinden, tanzen meist bloß zu ihren Lieblingssequenzen, ansonsten wackeln sie im Rhythmus, gehen herum, kucken, wer da ist, reden mit der Tresenkraft, verschicken SMS oder telefonieren („Ich bin im Berghain, hier sind bisher nur Spanner. Wie sieht’s im About Blank aus?“). Auf dem Nachhauseweg fällt ihnen ein Gedicht ein – fürs Internetforum des Clubs: „Vom Dunkel still den Tänzern winken/ Voll Ehrfurcht um die Säulen streichen/ Sich fest an diesen Ort zu binden.“

Die „Scene“ ist nicht gegen die Easyjetter und Touris, weil sie die Gentrifizierung forcieren, sondern weil sie die Clubs mit ihrem unbedingten Amüsierwillen und ihrer präsozialen Masse kaputtmachen: Kaffee Burger, Lido, Tresor, SO36 … Nur die Autonomen- und Hardcore-Punk-Clubs – Köpi, Supamolli etc. – sind einigermaßen davor gefeit. Ebenso die Special-Interest-Clubs: Latex-Scene-Zentren wie das „Kitkat“, Gruftie/Emo-Clubs wie „Last Cathedral“, die Semi-Neonaziclubs wie der „Speicher“, die Schwulen-Clubs wie „Ficken 3000“, die „Ballhäuser“ für einsame Muslime und deutsche Alleinerziehende; die Elite-Clubs wie das „Soho“, wo Mitglied zu werden für karrierebewusste Friseure schon fast ein Muss ist; dann die vermeintlichen Avantgarde-Clubs wie das „Watergate“ („Die Türpolitik ist an sich in Ordnung, aber 21-Jährige nicht reinzulassen ist lächerlich“) und die Erlebnis-Clubs wie das „Sage“ („Mit der Lonsdale-Jacke kommst du hier nicht rein!“).

Am eindeutigsten kommt die soziale Funktion bei den temporären Clubs zum Ausdruck, deren Betreiber immer wieder neue „Locations“ auftun und dann gezielt anhand ihrer Liste mit bis zu 5.000 Facebook-Freunde einladen. Ihre Partys dauern manchmal 72 Stunden. Den Anfang machte 1988 die „Tanzstelle“. Zuletzt lud das „K:Pax“ 10.000 in seine temporäre Location am Markgrafendamm, es kamen 2.000.

Während die arabischen Jugendlichen sich via Facebook, Twitter, SMS und Blogs auf der Straße verabreden und im Hellen um ihre Freiheit kämpft, versammeln sich die hiesigen „Jungen-Mädchen“ also in dunklen Clubs – wo Selbstverwirklichung und Selbstverwertung kaum zu unterscheiden sind.