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Crash–Schuldzuweisungen werden immer schärfer

■ Düstere Prognosen von Strauß und Nölling / Bald G–7–Treffen?

Berlin (taz) - Der Tonfall wird schärfer in der internationalen Szene der Finanzgewaltigen aus Regierungen und Banken. Schuldzuweisungen hinsichtlich des Börsencrashs und Unterstellungen über heimtückische Währungspolitik allerorten. Gleichzeitig rückt immer stärker die Frage in den Vordergrund, ob nun eine Krisenkonferenz der sieben wichtigsten Industrienationen (G–7) angesagt ist oder nicht. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt immer mehr der eigentlich seit langem erwartete dramatische Verfall des Dollarkurses. Der Präsident der EG–Kommission Jaques Delors hat am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg eine scharfe Attacke gegen die bundesdeutsche Zinspolitik begonnen: „Verantwortungslos“ habe die deutsche Bundesbank gehandelt, als sie durch die Ausgabe von Wertpapieren mit etwas höheren Zinsen im Oktober Erwartungen auf ein allgemein höheres Zinsniveau eingeleitet habe. Höhere Zinsen lassen Aktienkäufe im Vergleich zu anderen Anlagen unattraktiver werden und führen mithin zu sinkenden Kursen bei Unternehmensbeteiligungen. Auch der britische Schatzkanzler Nigel Lawson meinte, die Zinspolitik der Bundesrepublik habe unter den bereits erhitzten Aktienmärkten „das Streichholz angezündet“. SPD–Wirtschaftsexperte Wolfgang Roth, gar nicht faul, hat sich jetzt eigens in den USA, dem Zentrum der Kritik an der laschen bundesdeutschen Wachstumspolitik, argumentativ für den Streit mit der Bundesregierung gewappnet: Die Kritik der Amerikaner an den Deutschen, die diesmal als Hauptschuldige für die Krisenerscheinungen auf die Anklagebank gesetzt würden (vergl. taz vom 21.10.), sei in der Zinspolitik berechtigt. Frankreichs Wirtschafts– und Finanzminister Edouard Balladur meinte zwar auch besorgt: „Hof fentlich erkennen die deutschen zuständigen Instanzen, daß sie mehr für das Wachstum tun und ihre Zinssätze nicht erhöhen, sondern senken sollten“, vor allem jedoch rief er die US–Politiker auf, es sei jetzt eine „spektakuläre Verringerung des Haushaltsdefizits“ vonnöten. US–Präsident Reagan konnte zwar am Mittwoch abend eine Verringerung des Defizits für das Ende September zuende gegangene Haushaltsjahr auf 148 Milliarden Dollar bekanntgeben (nach 221,1 Milliarden im Vorjahr). Alle Beobachter sind sich allerdings darin einig, daß diese Verringerung allein auf die Steuerreform zurückzuführen ist. Das hat aufgrund einmaliger Umdisponierungen der Unternehmer zu einem einmaligen Schub bei der Kapitalertragssteuer geführt, für den es im kommenden Jahr keine Grundlage mehr gibt. Analytiker schließen nicht aus, daß das Defizit naächstes Jahr wieder auf 185 Milliarden Dollar steigt. Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg hat denn auch am Mittwoch abend die US–Regierung zu einer raschen Einigung mit dem Parlament über die verringerung des Difizits aufgefordert. Seiner Ansicht nach ist der verschuldete US–Haushalt wegen dessen großer Kreditnachfrage hauptverantwortlich für das hohe Zinsniveau. Im übrigen war Stoltenberg um den Eindruck bemüht, die Marktkräfte seien durch staatliche Interventionen zu bremsen: „Es hat heute abgestimmte Interventionen der Notenbanken zur Stabilisierung des Wechselkurses gegeben, und sie können, wenn nötig, auf internationaler Ebene verstärkt werden.“ Stoltenberg spielt damit auf den rapiden Dollarkursverfall an, der die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Exportindustrie in den USA untergräbt, ihre Preise steigen läßt, und als Folge sinken ihre Aktienkurse. Die reale Entwicklung straft den Finanzminister allerdings Lügen: Die US–Währung ist mit Hochgeschwindigkeit in Richtung auf die Marge unterwegs, die die US–Regierung nach Erkenntnissen von Jaques Delors anpeilt, wie dieser im Europaparlament enthüllte: 1,60 DM. Delors klagte die Vereinigten Staaten an, eine derartige Dollar–Absenkung werde die EG–Exporte in die USA erschweren. Wie die USA allerdings ihr allerorten beklagtes Handelsdefizit bereinigen sollen, wenn nicht durch höhere Exporte (wozu auch ein niedriger Dollar dienen könnte) und durch geringere Importe, verriet Delors nicht. Die USA, dennoch offenbar empfindlich getroffen, dementierten sogleich: Delors gebe nicht die Politik der USA wider. Der bayerische Ministerpräsident Strauß hält es inzwischen für nötig, auch in die Beschwichtigungen einzugreifen: „Von hektischen Reaktionen aufgrund eines noch nicht übersichtlichen Zukunftsbildes rate ich ab.“ Bei anhaltendem Börsen– und Dollarsturz seien Konjunktureinbrüche mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Der Präsident der Hamburger Landeszentralbank, Wilhelm Nölling, sprach von einer „weltweiten Beschädigung“ der wirtschaftlichen Grundlagen, wo die Kurse schließlich landeten, könne niemand sagen. Die Wirtschaftsprognosen für 1988 möge man vorerst völlig aussetzen, „bis sich die Pulverschwaden verzogen haben“. US–Präsidentschaftsaspirant Robert Dole schlug jetzt ein Treffen der G–7– Gruppe vor, Tokio hat bereits signalisiert, daß man ein solches nicht für sinnvoll erachte. Ob es da ein Trostpflaster für die Großfinanz ist, daß das Spielchen immer noch so attraktiv ist, daß Neue einsteigen wollen? Die tschechoslowakische Regierung hat jetzt angekündigt, daß man die heimische Krone zum 1.1.1989 in die Konvertibilität (freie Wechselbarkeit) überführen wolle. ulk

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