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■ Clintons halbherzige Politik trägt Mitschuld am DesasterHaiti perdue

In letzter Zeit wird Haiti in den Medien häufig in einem Atemzug mit Bosnien und Somalia genannt. Die Parallelen liegen auf der Hand, obwohl im bosnischen und somalischen Bürgerkrieg größere Interessen auf dem Spiel stehen – von den unterschiedlichen Todesziffern ganz zu schweigen. In allen drei Krisenherden haben die USA und die vom Wohlwollen Washingtons abhängige UNO und Nato bzw. OAS moralische Niederlagen erlitten, indem sie politisch Flagge zeigten, ihren Worten aber keine Taten folgen ließen. Die schwankende Haltung der Clinton-Administration, die ständig das militärische Eingreifen beschwor, zu dem sie sich nicht entschließen konnte oder wollte, führte zu einer Art Domino-Effekt: wenige Tage, nachdem Anhänger des mit Kopfgeld aus Washington gesuchten Generals Aidid die Leiche eines US-Marines im Triumphzug durch Mogadischu geschleift hatten, vertrieben Randalierer durch Steinwürfe ein amerikanisches Kriegsschiff, das in Port-au-Prince anlegen wollte. Die auf ihm stationierten Soldaten der UNO und der OAS sollten die Sicherheit des gewählten Präsidenten Aristide garantieren.

Das war im Oktober vorigen Jahres; seitdem ist Aristides Wiederkehr nach Haiti in immer weitere Ferne gerückt, während die Bevölkerung des ohnehin bitterarmen Landes immer tiefer im Elend versinkt. Port-au-Prince ist eine Geisterstadt ohne Kühlschränke und Fernseher, Strom und Benzin; das Telefonnetz ist zusammengebrochen, der öffentliche Nahverkehr ebenfalls; zahlreiche Handwerks- und Gewerbebetriebe mußten schließen, die mittelständische Wirtschaft steht vor dem Ruin. Nur der mit den Militärs verbündeten Oberschicht fehlt es an nichts, im Gegenteil: sie profitiert von dem gegen sie verhängten Embargo und finanziert mit den Gewinnen aus dem Benzin- und Drogenschmuggel den Terror der Todesschwadronen, die sich, dem Vorbild der Arena-Partei in El Salvador folgend, als politische Bewegung konstituiert haben – nicht ohne Geschick. Die ultranationalistische Propaganda der FRAPH (Front pour le progrès et lávancement haitien), die Aristide als Vaterlandsverräter denunziert und für die bitteren Folgen des Embargos verantwortlich macht, zeigt durchaus Wirkung bei einer Bevölkerung, die, wie die Arbeitslosen der Weimarer Republik, für demagogische Parolen anfällig ist.

Meldungen von bewaffneten Aufständen in der Nord- und Südprovinz, zuletzt im Raum Gonaives, dürften dagegen eher das Wunschdenken von Exilhaitianern widerspiegeln als die realen Gegebenheiten auf dem Lande, dessen unter dem Existenzminimum vegetierende Bewohner weder die materiellen Mittel noch die physische Kraft besitzen, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben.

Um sich aus der politischen Sackgasse zu befreien, in die Bill Clinton ihn mit seiner halbherzigen Unterstützung manövriert hat, trat der ins Exil vertriebene Staatschef die Flucht nach vorn an. Aristide kündigte einseitig das mit Clintons Amtsvorgänger George Bush geschlossene Abkommen zur Repatriierung der Boat people auf, mit dem einleuchtenden Argument, es sei zynisch, seine Anhänger zum Bleiben in Haiti aufzufordern, solange diese dort ihr Leben riskierten. Gleichzeitig zog er die persönliche Glaubwürdigkeit des US-Präsidenten in Zweifel, der ihm versprochen hatte, für seine Rückkehr nach Haiti zu sorgen. Clinton geriet auch von anderer Seite unter Beschuß: Mitglieder des black caucus, eines überparteilichen Zusammenschlusses schwarzer Senatoren und Kongreßabgeordneter, demonstrierten vor dem Weißen Haus gegen seine Haiti-Politik; aus Protest gegen die Auslieferung der Boat people an die haitianischen Militärs trat der demokratische Kongreßabgeordnete Robinson in den Hungerstreik. Gleichzeitig wurde der Polizeichef von Port-au-Prince, Michel François, beim Prozeß gegen Panamas Militärdiktator Noriega schwer belastet: Ein Zeuge der Anklage sagte aus, François habe sich mit dem Chef des Medellin- Kartells, Escobar, getroffen und Haiti in dessen Auftrag zur Drehscheibe der internationalen Drogenmafia gemacht. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung entschloß sich Clinton zur Neuformulierung seiner Haiti-Politik; sein Sonderbotschafter Pezzullo, der sich vor Ort vergeblich bemüht hatte, mit Putschgeneral Cédras einen diplomatischen Kompromiß auszuhandeln, wurde aus Port-au- Prince abberufen und die Verschärfung des Embargos angekündigt, das von Waffen und Benzin nun auch auf nichtmilitärische Güter ausgedehnt werden soll. Reichlich spät, so scheint es, dämmert bei den Strategen des State Department die Einsicht, daß das Embargo, so wie es bislang praktiziert (und umgangen) worden ist, kontraproduktiv gewirkt hat. Anstatt die Militärs an den Verhandlungstisch zu zwingen, hat es sie in ihrer harten Haltung nur bestärkt; sie nutzten die Zeit, um ihre Macht zu konsolidieren und die unter Aristide entstandenen Ansätze einer demokratischen Gegenkultur durch Verfolgung und Ermordung seiner Anhänger zu zerschlagen. Auf der Strecke blieb die politische Mitte, nach der die diplomatischen Vermittler so angestrengt suchten: durch ihre Kollaboration mit den Militärs haben sich die bürgerlichen Parteien hoffnungslos blamiert, allen voran der Wunschkandidat der USA und frühere Weltbankfunktionär Marc Bazin, aber auch der zeitweise mit Aristide verbündete Populist Louis D'joie II, der nunmehr für Neuwahlen plädiert. Parlament und Justiz haben den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielt, und die Armee hat wieder einmal gezeigt, daß sie das Land zwar herunterwirtschaften, aber nicht regieren kann – außer Diebstahl, Vergewaltigung, Folter und Mord haben die Erben der Duvalier-Diktatur nichts gelernt. Aber auch Aristides Prestige ist angeschlagen, weil er seine Anhänger unvorbereitet und schutzlos dem Terror der Tontons Macoutes ausgeliefert hat. Im Grunde hat er nie den Schritt vom Befreiungstheologen zum Politiker getan: auf die Drohungen der Militärs hat er mit spontanen Appellen an die Massen reagiert, anstatt den Erdrutschsieg der „Lavalas“-Bewegung institutionell zu verankern und organisatorisch zu sichern – freilich blieb ihm dafür auch nur wenig Zeit. Ein Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht, solange Aristide aus Angst, unpatriotisch zu erscheinen, eine ausländische Militärintervention ablehnt, in diesem Punkt stimmt der linke Präsident mit seinen rechten Gegnern überein. Die ärmste Republik Amerikas ist nicht mehr in der Lage, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Nur die USA als Hauptverantwortliche für die verfahrene Situation könnten Haiti aus seiner fremd- und selbstverschuldeten Misere noch befreien – wenn es nicht auch dafür schon zu spät ist. Hans Christoph Buch

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